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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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wurde schlaff. Doch sie hielt die Hand fest; Tränen strömten ihr über die Wangen, während sie das Lied zu Ende sang. Dann legte sie die schwere Hand nieder, so eine junge Hand, noch knochig und mager vor Jugend, mit abgestoßenen, schwarzen Nägeln und Schmutzkrusten in der zarten Haut. Und dann ließ sie den Kopf auf die Knie sinken und weinte wirklich, ungeachtet, daß jemand sie sehen oder hören mochte, denn es schien ihr, daß es in einer solchen Welt nur Elend und Weh gab.
    Plötzlich fühlte sie sich aufgehoben. Zwei Hände packten sie an den Armen, zogen sie hoch, und sie drehte sich um.
    »Sheng!« stieß sie leise hervor.
    »Du warst es also«, sagte er. »Dich hörte ich neulich … dasselbe Lied sangst du …!«

15
    So fanden sich Sheng und Mayli neben dem toten jungen Engländer. Zu anderer Zeit hätten sie sich wohl der Überraschung hingegeben, aber in diesem fremden Land begegnete ihnen täglich etwas Überraschendes. Wenn alles möglich war und niemand voraussagen konnte, wo er sich in der nächsten Stunde befinden oder was er dann tun würde – unter diesen Umständen empfanden weder Mayli noch Sheng, abgesehen vom ersten Aufschrei, Überraschung. Jeder nahm den andern bei den Händen, und so standen sie, mit fest verschlungenen Händen, mit den Augen das Antlitz des andern abtastend, und jeder fühlte jetzt, was der andere fühlte – ein Trost, für den es keine Worte gab. Freude konnte es nicht geben, denn sie standen mitten in Tod und Verderben, aber Mut floß durch ihre Hände zu ihren Herzen, und in diesem Augenblick vergaß er seine Eifersucht und seine Zweifel.
    Er sah ihr von Schweiß und Tränen feuchtes Gesicht, ihre Haare, die ihr naß in Stirn und Nacken hingen. Sie trug einen rohen Strohhut wie die Bauern, und um den Hut wanden sich die welken grünen Zweige. Sie war bis auf die Knochen abgemagert, das sah er, und ihre blaue Baumwolluniform schlotterte, ebenfalls naß von Schweiß, um ihren dünnen Körper. Ihre bloßen Füße steckten in Strohschuhen, und ihre Ärmel waren bis zum Ellenbogen aufgekrempelt.
    Und sie sah einen großen, hageren Jüngling, hart wie Leder, in einer schmutzigen Uniform. Über sein dunkles Gesicht rann der Schweiß wie Regentropfen und sickerte vom Kinn hinab. Tatsächlich schien die Sonne erbarmungslos auf sie herunter. Es gab keine Bäume außer den Ausläufern und dem Unterholz des Urwalds, und dort lagen schon die Verwundeten, die nach Wasser verlangten. Neben ihnen begann ein hohlwangiger Inder nach Wasser zu stöhnen.
    »Pani … pani …«, ächzte er.
    Beim Klang seiner Stimme wandten sie sich. Sie sahen, daß seine Schulter zerschossen war und daß er verblutete. Bevor Sheng noch zu Mayli gesprochen hatte, ließ er ihre Hände los, ging zu dem Sterbenden hinüber, öffnete seine eigene Feldflasche mit dem kostbaren Wasser und setzte sie dem Mann an die Lippen; dabei stützte er ihm den Kopf mit der rechten Hand, so daß er leichter zu trinken vermochte.
    »Oh, er wird ohnehin sterben«, rief Mayli gedämpft. »Spare das Wasser für dich …«
    Aber Sheng ließ den Mann trinken und trinken, bis die Flasche leer war. Dann legte er des Mannes Kopf auf die heiße Erde, und gerade als er dies tat, starb der Inder.
    »Das Wasser ist verschwendet«, sagte Mayli mit der gleichen gedämpften Stimme.
    »Ich wäre daran erstickt, hätte ich es ihm verweigert«, entgegnete Sheng. Er verkorkte die leere Flasche, tat sie an ihren Platz, und dann wandte er sich wieder Mayli zu, nahm ihre eine Hand und hielt sie in der seinen.
    »Wo bist du gewesen?« fragte er.
    »Hier«, antwortete sie, »mit meinen Frauen.«
    »Und ich habe dich in meinen Träumen in dem Häuschen gesehen, mit dem läppischen kleinen Hund, den du mehr liebst als mich.«
    »Und ich dachte, du seist irgendwo, aber nicht gerade in meiner Nähe«, sagte sie, und ihre aufgesprungenen Lippen lächelten.
    »Du warst es, die ich am Abend unseres Aufbruchs singen hörte«, sagte er. »Und ich dachte, du könntest es nicht sein.«
    Diese wenigen Worte sprachen sie zueinander inmitten der Männer, die verwundet und sterbend und vom Sonnenstich befallen dalagen; und beide wußten, daß sogar dieser Augenblick wegen ihrer Pflicht diesen andern gegenüber enden mußte. Schon begannen die Frauen verstohlene Blicke auf sie zu werfen; so lösten sich ihre Hände voneinander.
    »Ich will dich heute abend aufsuchen«, versprach Sheng.
    »Ich werde Ausschau nach dir halten«, versicherte sie. Und dann

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