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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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schweigend Leute hin und her. Auf dem Boulevard rumpelten die Wagen, als hätte die Nacht nichts Trauriges gebracht. Paris erwachte langsam, während die matte Sonne die Spitzen der Bäume hell färbte.
    Diese Heiterkeit der Natur, diese Gleichgültigkeit der Stadt stimmten Daniel tief traurig. Die Thränen stellten sich wieder ein und diese heilsame Krisis machte ihm den Kopf leichter. Er blieb am Fenster, in der kühlen Luft, stehen und überlegte, was er nun zu thun habe.
    Allmählich sah er ein, daß er nichts Gescheidtes ausdenken würde und hielt es für geraten, seine Hände zu beschäftigen. Er stellte oder legte diesen und jenen Gegenstand an einen andern Ort, kramte in seinem Koffer, nahm Sachen heraus, die er dann wieder hineinwarf. Der Kopf schmerzte ihm jetzt weniger.
    Als die Nacht hereinbrach, war er sehr erstaunt. Er hätte darauf schwören können, daß es eben erst Tag geworden wäre. Der eine Gedanke, der seinen Geist unausgesetzt beschäftigte, hatte ihm so wenig Besinnung übrig gelassen, daß ihm der lange Leidenstag sehr kurz vorgekommen war.
    Er ging aus, versuchte Speise und Trank zu sich zu nehmen, und wollte sich dann Frau von Rionne’s Leiche noch einmal ansehen. Er konnte aber nicht in das Totenzimmer hinein. Da begab er sich in sein Stübchen hinauf, legte sich zu Bett und verfiel in einen schweren Schlummer, der ihn bis in den hellen Tag hinein gefangen hielt.
    Als er erwachte, hörte er ein gedämpftes Stimmengewirr. Es kam von den Leidtragenden, die sich zur Beerdigung eingefunden hatten. Er kleidete sich in aller Eile an und ging hinunter. Auf der Treppe begegnete er schon dem Sarg, den vier Mann mit Mühe davontrugen und der bei jedem Stoße, den er empfing, dumpf stöhnte. Vor dem Ausgange trat auf dem Boulevard eine Störung ein. Das Leichengefolge war zahlreich und der Zug brauchte viel Zeit, um sich zu ordnen.
    Von Rionne stellte sich in Begleitung seines Schwagers an die Spitze. Seine Schwester, eine junge Frau, die klaren Auges in die Menge hineinschaute, stieg in eine Equipage. Unmittelbar hinter von Rionne kamen die Freunde der Familie und die Dienstboten. Daniel schloß sich diesen an.
    Dann kam das übrige Trauergefolge in unregelmäßig verteilten, ungleichen Gruppen. So gelangte der Zug nach der mit Blumen und grünem Laub geschmückten Lieblingskirche der vornehmen Welt, der Sainte-Clotilde. Das Schiff füllte sich mit Menschen, der Gesang begann.
    David kniete in einer Ecke, in der Nähe einer Kapelle, nieder. Es herrschte jetzt Frieden in seiner Seele, so daß er beten konnte. Aber den Worten der Priester vermochte er nicht zu folgen; seine Lippen blieben stumm und sein Gebet bestand nur in einem ununterbrochnen, andachtsvollen Aufschwung seiner Seele zu Gott.
    Nach einiger Zeit wurde ihm der Kopf schwindlig, so daß er ins Freie gehen mußte. Der Geruch der Wachskerzen, die langen, schwarzen Behänge mit ihren weißen Kreuzen, die Klagelieder der Sänger machten ihn beklommen. Draußen ging er langsam in den Gartenanlagen, die sich um die Kirche herumziehen, spazieren. Ab und zu blieb er stehen und betrachtete die Gebüsche, während sein Herz inbrünstig weiter betete.
    Als der Zug seinen Weg fortsetzte, mischte er sich wieder unter die Dienerschaft. Das Trauergefolge zog die Boulevards entlang nach dem Kirchhof des Mont Parnasse. Das Wetter war milde, die junge Sonne lockte die ersten, grünen Blätter aus den Knospen der Ulmenäste hervor. Die Klarheit der Luft ließ die Umrisse der Gegenstände am Horizont merkwürdig scharf erscheinen. Es war, als hätten die Regengüsse des Winters die Erde sorgfältig gewaschen; so strahlte sie jetzt vor Frische und Sauberkeit.
    Die Leute, die hinter Frau von Rionne’s Leichenwagen an jenem heiteren Morgen einhergingen, hatten zum größten Teil vergessen, daß sie einer Beerdigung beiwohnten. Man sah sehr vergnügte Gesichter unter ihnen, und die Vorübergehenden hätten auf den Gedanken kommen können, sie sähen Spaziergänger vor sich, die das schöne Frühlingswetter genießen wollten.
    Der Zug rückte langsam vor, während die Marschordnung sich immer mehr auflöste und das Geplauder immer lauter wurde. Jeder unterhielt sich mit seinem Nachbarn über seine persönlichen Angelegenheiten, Jeder wurde allmählich lebhafter und atmete freier. Daniel allein bewahrte dieselbe würdige Haltung. Den Blick zu Boden gesenkt, mit entblößtem Haupte, in tiefen Schmerz versunken, dachte er an die Mutter, die er so eben verloren

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