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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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umarmt, die Schrecknisse des Todeskampfes inne. Er dachte an sich und stellte sich vor, wie er einst sterben und daß er ebenso aussehen würde.
    Blanca sah ihm voll ins Gesicht und erkannte ihn. Ein Seufzer hob ihre Brust, sie versuchte zu lächeln, während ein versöhnlicher Gedanke in ihr aufstieg. Indessen gab sie dieser bessern Regung erst nach einigem Kampfe Raum. Der alte Groll bäumte sich wieder empor; um nachsichtig sein zu können, mußte sie sich vorhalten, daß sie ja für diese Welt nicht mehr vorhanden sei, daß die Erbärmlichkeiten des Erdenlebens ja nicht mehr auf ihr lasteten. Uebrigens besann sie sich gar nicht mehr, daß sie ihren Mann hatte rufen lassen. Es war ihr nur einen Augenblick, da sie sonst Niemand hatte, dem Sie ihre Tochter anvertrauen konnte, der Gedanke gekommen, sie solle ihm die denkbar feierlichsten Versprechungen abnehme, daß er seinen Pflichten als Vater nachkommen würde. Nun sie sich aber die Sorge vom Herzen abgewälzt und ihrer Tochter einen Hüter beigestellt hatte, dachte sie nicht mehr an ihre Angst und deren Ursache.
    Sie wunderte sich also beinahe, als sie ihren Mann vor sich sah, und blickte ihn ohne Groll an, wie einen guten Bekannten, den man freundlich anlächelt, wenn man Abschied von ihm nimmt. Ja, als das Bewußtsein noch voller zurückkehrte, regte sich bei ihr eine Art Mitleid mit diesem Manne, den seine moralische Feigheit zu einem schlechten Menschen machte.
    »Lieber Mann,« hauchte sie matt, »es ist hübsch von Dir, daß Du gekommen bist. Nun werde ich ruhiger sterben.«
    De Rionne, durch diese sanfte Rede gerührt, schluchzte von Neuem.
    Blanca fuhr fort.
    »Jammre nicht. Ich habe keine Schmerzen mehr, in meiner Seele herrscht Frieden und stilles Glück, und ich habe nur noch den Wunsch, daß alle Mißstimmung, die zwischen uns bestanden hat, beseitigt werde. Es wiederstrebt mir, mit Uebelwollen dahinzugehen und zu denken, daß Dein Gewissen Dir in Zukunft auch nur die geringsten Vorwürfe machen könnte. Wenn ich Dich also gekränkt habe, so verzeihe mir, wie ich Dir verzeihe.«
    Diese Worte wirkten so stark auf Rionne’s Nerven, daß er ganz weichmütig wurde und er sich nicht mehr gegen die unangenehme Aufregung des Weinens sträubte.
    »Ich habe Dir nichts zu vergeben,« stammelte er. »Du bist ja immer gut gewesen, und ich bedaure, daß die Verschiedenheit unsrer Charaktere uns von einander getrennt hat. Du siehst, ich weine, ich bin außer mir vor Schmerz.«
    Blanca beobachtete ihn und empfand Mitleid mit ihm. Der Mann ließ es sich ja nicht beikommen zu denken, daß er irgend welche Schuld tragen konnte, daß er mit gefalteten Händen um Verzeihung bitten müßte! Ihm raubte bloß das Todesgrauen jedwede Besinnung. Sie begriff, daß er, wenn Gott wunderbarer Weise ihr Leben schonte, Tags darauf seinen alten Lebenswandel wieder aufgenommen und Sie wieder allein gelassen hätte. Daß sie starb, war keine Lehre für ihn. Sondern nur ein beklagenswerter Zwischenfall, bei dem er leider zugegen sein mußte.
    Bei diesem Gedanken lächelte sie wieder und sah ihm mit ruhiger Ueberlegenheit voll ins Gesicht.
    »Sag’ mir Lebewohl,« hob sie wieder an. »Ich schwöre Dir, daß ich keinen Groll gegen Dich hege. Vielleicht ist diese meine Versicherung dermaleinst ein Trost für Dich. Ich wünsche es von Herzen.«
    Sie schwieg.
    »Welches sind Deine letzten Wünsche?« fragte von Rionne.
    »Ich habe keinen Wunsch,« lautete ihre Antwort. »Ich verlange nichts von Dir und habe Dir nichts vorzuschreiben. Handle, wie es Dein Herz Dir eingiebt.«
    Von ihrer Tochter mochte Sie nicht sprechen. Sie hielt es jetzt für verkehrt und sündhaft, ihn ein Versprechen beschwören zu lassen, das er nicht zu halten im Stande war.
    »Lebe wohl,« fuhr sie in noch milderem Tone fort. »Weine nicht.«
    Sie wehrte ihn langsam mit der Hand ab und schloß die Augen, zum Zeichen, daß Sie ihn nicht mehr sehen wollte. Er trat auch bis an das Fußende des Bettes zurück, vermochte aber nicht die Augen von dem schrecklichen Schauspiel abzuwenden.
    Mittlerweile war der Arzt gerufen worden. Er kam jetzt, obschon er recht wohl wußte, daß seine Gegenwart überflüssig sein würde. Ein alter Geistlicher, der am Morgen der Sterbenden die letzte Oelung gegeben hatte, war gleichfalls erschienen. Er lag auf den Knien und recitirte halblaut die Gebete für die Sterbenden.
    Blanca’s Kräfte nahmen mehr und mehr ab. Das Ende war gekommen. Da richtete sie sich plötzlich auf und verlangte

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