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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sagen Spaß machte, die Tote mit Kot zu bewerfen. Nichts war so schmerzlich für ihn, als dieser erste Einblick in die Welt des Lasters bei dem Leichenbegängnis seiner guten Heiligen.
    Während er noch hierüber schwermütig sinnirte, betrat der Trauerzug den Kirchhof. Die Familie von Rionne besaß hier ein Erbbegräbnis in Gestalt einer gotischen Kapelle. Es lag an einer Stelle, wo die Grabdenkmäler dicht bei einander standen und nur schmale Gänge frei ließen.
    Das Leichengefolge war hier nicht mehr so zahlreich wie in der Kirche. Die den Mut gehabt hatten, so weit mitzukommen, stellten sich zwischen den Grabsteinen im Kreise auf. Von Rionne trat vor, und die Geistlichen recitirten die letzten Gebete. Dann wurde der Sarg in die Gruft hinabgelassen. Der Wittwer gab hier wieder einen Beweis seiner moralischen Erbärmlichkeit, indem er beim Anblick der gotischen Kapelle in Schluchzen ausbrach. Seitdem er nämlich als Kind Vater und Mutter dorthin zu ihrer letzten Ruhe geleitet hatte, war sie für ihn ein Gegenstand des Grauens geworben, an den er in trüben Stunden zu denken pflegte. Er wußte, daß dort auch sein Leib einst modern würde, und deshalb erfüllte ihn der Anblick der Kapelle mit Entsetzen.
    Er seufzte erleichtert auf, als er endlich wieder in seine Equipage steigen konnte. Gott sei Dank, daß die Trauerfeierlichkeit vorüber war; nun konnte er das Alles vergessen. Allerdings gestand er sich seine wahren Gefühle nicht offen ein, aber sein feiges Herz war keinen andern zugänglich.
    Als alle Andern sich entfernt hatten, stand Daniel noch an dem Grabe. Er wollte der Letzte sein, um mit der teuren Verblichenen allein zu bleiben und ihr Lebewohl zu sagen, ohne daß die Menge der Gleichgültigen störend zwischen sie und ihn treten könnte. So verweilte er noch lange auf dem Kirchhof und unterhielt sich innerlich mit der Seele des entflogenen Engels.
    Endlich verließ er den Friedhof und ging nach Hause.
    Hier glaubte er zu bemerken, daß der Pförtner ihn mit einem eisigen Blick ansah. Es hatte den Anschein, als zögere der Mann ihn einzulassen, als hätte er Lust, ihn nach seinem Namen zu fragen, wie wenn es sich um einen Unbekannten gehandelt hätte.
    In dem kleinen, zwischen der Einfriedigung und dem Hause gelegnen Garten, standen die Bedienten, noch in Trauerkleidern, vor dem Pferdestall und plauderten.
    Ein Pferdeknecht, der bei der Beerdigung nicht zugegen gewesen war, wusch einen Wagen mit einem großen Schwamm ab.
    An dieser Gruppe nun kam Daniel vorüber, da er in seiner schüchternen Bescheidenheit sich nicht durch die Hauptallee getraute und deshalb einen Umweg machen mußte. Bei seinem Anblick verstummte plötzlich die Unterhaltung und Aller Augen richteten sich auf ihn, während ein boshaftes Grinsen die plumpen Gesichter in die Breite zog.
    Als Daniel näher herankam, merkte er, daß eine feindselige Stimmung gegen ihn unter dem Gesinde Platz griff. Die Beiden, die er mit seinem erzürnten Blick zum Schweigen gebracht hatte, waren da und hetzten die Andern gegen ihn, so daß auf das plötzliche Stillschweigen bald laute Hohnworte fielen.
    Daniel blieb vor Scham errötend stehen und fragte sich, ob er nicht umkehren sollte. Aber der Gedanke an Frau von Rionne flößte ihm Mut ein, er schritt tapfer vorwärts.
    Während er vorbeiging, hörte er ironisches Lachen und grausame Spottreden, in denen Einer immer den Andern zu überbieten suchte.
    »Seht doch mal, was die gnädige Frau für einen hübschen Pagen da hatte!«
    »Und das hat guten Schulunterricht genossen! Während Unsereins sich wie ein Neger abschinden muß, führt der Habenichts da ein bequemes Leben.«
    »Ja wohl, und wir haben den Herrn bedienen müssen. Ein Segen, daß es jetzt anders werden wird.«
    »Raus mit dem Bettler!«
    Und in diesem Augenblick, wo Daniel an dem Pferdeknecht vorüberkam, rief dieser:
    »Heda, guter Freund, hilf mir doch die Eklipage rein klauen!«
    Das ganze Gesindel lachte laut auf.
    Daniel zitterte, während er dies Alles anhören mußte. Die Leute erinnerten ihn an seine ehemaligen Schulkameraden und er wollte, wie er es früher so oft gethan, sich eiligst in seine Klause flüchten. Seine zarte Empfindsamkeit fühlte sich tief verletzt durch die rohen Schimpfreden des Bedientenpacks, das seinem Groll Luft machte, nun es Daniels Gönnerin nicht mehr zu fürchten hatte.
    Indessen besann er sich, von Unwillen gepackt, sofort eines anderen, wandte sich um und sah die Unverschämten scharf an. Diese bekamen

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