Das Gelübde einer Sterbenden
so hatte Lorins Erscheinen genügt, ihr schlechteres Ich wieder zu erwecken. Er schien ihr ein ganz netter Mensch zu sein, zwar etwas dumm und eingebildet, aber erträglich im Umgang. Als er ihr seinen Antrag machte, — den sie erwartet hatte — nahm sie ihn ohne viel Besinnen an, denn für sie bedeutete die Ehe nur ein Mittel, sich einen eignen Empfangssalon zu verschaffen.
Daniel merkte, was in dem jungen Kopfe vorging, und beschloß voller Aerger, diese Heirat nicht zu Stande kommen zu lassen. Diese Regung war eine Empörung seines Herzens gegen seine Vernunft. Er vergaß ganz seine eigentliche Lebensaufgabe und bemühte sich nicht mehr, einzig und allein dem Wunsche seiner Wohlthäterin zu gehorchen; sein ganzes Sein trieb ihn vielmehr dazu, Jeanne Lorins Armen zu entreißen.
Nach einem langen, qualvoll zugebrachten Tage trat er am Abend plötzlich vor das junge Mädchen hin, als sie am Flusse spazieren ging, und fragte sie:
»Sie wollen heiraten?«
»Ja!« antwortete sie, erstaunt über den Ausdruck, der aus dem Ton seiner Stimme herausklang. »Kennen Sie auch Herrn Lorin gut?«
»Nun, ich habe seine Bekanntschaft schon vor zwölf Jahren gemacht und muß sagen, daß ich keine Achtung vor ihm habe.«
Jeanne warf hochmütig den Kopf empor und wollte etwas erwidern. Aber er fiel ihr heftig ins Wort:
»Reden Sie nicht! Sagen Sie nichts! Glauben Sie mir, diese Heirat ist nicht möglich. Ich will nicht, daß Sie den Mann heiraten.«
Er sprach in gebieterischem Tone, wie ein erzürnter Vater, der unbedingten Gehorsam verlangt. Jeanne aber sah ihn nur mit verächtlichem Staunen an.
Einen Augenblick durchfuhr Daniels Geist der Gedanke, er solle ihr Alles sagen und im Namen ihrer Mutter zu ihr sprechen. Dann aber besann er sich eines andern, hielt er es für geraten, die Eröffnung aufzuschieben und redete in einem weniger harten Tone:
»Bitte, überlegen Sie sich die Sache und bringen Sie mich nicht zur Verzweiflung.«
Jeanne lachte ihm ins Gesicht. Die sonderbare Keckheit des Sekretärs entwaffnete ihren Zorn.
»Sagen Sie mal, Herr Daniel,« fragte sie, »sind Sie etwa in mich verliebt?«
Gleich darauf aber lenkte sie ein, indem sie an die vielen Liebenswürdigkeiten dachte, die der arme Kerl ihr erwiesen hatte:
»Keine Torheiten, lieber Kamerad. Wir dürfen uns doch nicht erzürnen, wir müssen doch als gute Freunde auseinandergehn.«
Als sie davon gegangen war, blieb Daniel wie angedonnert stehen und wiederholte mechanisch ihre Frage: »Sind Sie etwa in mich verliebt?« Aber er hörte nicht, was er da sagte, so heftig brauste es auf einmal in seinem Kopfe. Nach einer Weile kam plötzlich wieder Leben in ihn, er rannte nach dem Park hin und stammelte:
»Sie hats gesagt! Ja ja, ich liebe sie.«
Es brannte ihm in der Brust, er taumelte wie ein Betrunkener. Ein kalter Sprühregen fiel herab, und so ging er stöhnend und seufzend, hinein in die finstre Nacht, mit dem klaren Bewußtsein seines wahren Seelenzustandes.
Ja wohl, er liebte Jeanne. Er, der Elende; das gestand er sich mit tiefstem Schmerze. Ja ja, er hatte sich selbst belogen; seine Selbstaufopferung und Treue war in Wirklichkeit nur Liebe; er warnte und hütete das junge Mädchen vor Lorin, nur um sie für sich selber zu behalten. Bei diesem Gedanken überwältigte ihn die Scham, begriff er, daß ihm der Mut und die Kraft fehlen würde, den Kampf fortzusetzen.
Was war er ihr denn? Nicht einmal ein Freund! Mit welchem Recht mischte er sich in die Angelegenheiten dieser Familie und wie würde man seine Befehle aufnehmen? Gegen seine Ohnmacht, seine Armut konnte er doch nun einmal nicht aufkommen. Gesetzt, er würde sagen, daß Lorin kein rechtschaffener Mann sei; so konnte er keine Beweise für seine Behauptung erbringen. Erzählte er, was für einen Auftrag er von Frau von Rionne erhalten hatte, so erklärte man ihn für verrückt, setzte ihm den Stuhl vor die Tür und spottete: »Nicht doch, lieber Freund, Sie sind verliebt!
Worin man Recht gehabt hätte. Ja wohl, er hatte Jeanne sogar schon geliebt, als sie noch ein Kind war. Das wurde er jetzt inne. Schon damals, als er noch in der Impasse Saint Dominique d’Enfer wohnte, war die Vision des lieben Kindes seine Geliebte gewesen. Späterhin hatte er das junge Mädchen vergöttert, war er ihr mit bösartiger Eifersucht auf Schritt und Tritt gefolgt, aus Furcht, ihr Herz möchte ihm gestohlen werden.
Dann ging er im Geiste die Ausflüge nach den Inseln durch und gab sich Rechenschaft über
Weitere Kostenlose Bücher