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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Ob es ihm nicht gelingen sollte, dem Pärchen eine Jahresrente abzuknöpfen, die ihm erlauben würde, ein behagliches, nicht allzu langweiliges Dasein zu führen bis an sein seliges Ende?
    Er spielte also seine Vaterrolle mit großer Würde und hütete sich, dem Freier allzu eifrig entgegen zu kommen oder ihn durch zu große Kälte und Gleichgültigkeit zu entmutigen. In Wirklichkeit fürchtete er, es würde aus der Heirat nichts werden. Aber als Lorin ihm die Versicherung gab, Jeanne liebe ihn, beruhigte sich von Rionne und zeigte sich gemütlicher, mitteilsamer. Er sprach jetzt von seiner Tochter mit wahrhaft väterlicher Rührung und versicherte, nichts liege ihm mehr am Herzen, als ihr Glück.
    Es wurde mithin verabredet, daß sie sich schon am nächsten Tage nach Le Mesnil-Rouge begeben wollten; es sollte alles Nötige besprochen und abgemacht werden, noch ehe Jeanne nach Paris zurückkäme. Denn auch Lorin war es nicht unlieb, wenn die Sache mit Eile betrieben wurde; er schwankte nämlich noch immer und wollte eine vollendete Thatsache schaffen, um die Dummheit nicht wieder rückgängig machen zu können.
    Demgemäß eröffneten die beiden Herren den Zweck ihrer Reise sofort bei ihrer Ankunft und auch das junge Mädchen wurde gleich nach ihrer Meinung gefragt.
    Daniel that die Nacht kein Auge zu. Die Gedanken jagten sich in seinem Hirn und stießen aufeinander, ohne daß er zu einer festen Ansicht zu gelangen vermochte.
    Manchmal redete er sich ein, Lorin lüge, Jeanne würde den Antrag nicht annehmen; dann überfiel ihn wieder eine entzetzliche Angst und überkam ihn der Gedanke, daß die Heirat eigentlich doch möglich sei. Am meisten aber peinigte ihn ein körperliches Weh, das mit grimmiger Flamme seine Brust durchtobte. Wenn er in Gedanken Jeanne und Lorin nebeneinander einherschreiten sah, packte ihn eine wilde Wut.
    Als der Tag anbrach, zwang, er sich, die Sache mit mehr Ruhe zu betrachten. Wozu bloß auf Lorins Worte hin sich so verzweifelt und wütend gebärden? Vielleicht war noch nichts entschieden. Jedenfalls mußte er sich erst näher erkundigen. Mit diesem Entschlusse ging er hinunter, um die Gesichter zu studiren und sich danach ein Urteil zu bilden.
    Tellier sah so aus wie alle Tage, ebenso nichtssagend und gedankenarm. Von Rionne schien seelenvergnügt und zeigte sich sehr aufmerksam gegen seine Tochter; war sie doch für ihn ein kostbares Gut, dessen Verlust er für ein großes Unglück gehalten hätte.
    Was Frau Tellier betraf, so trug sie eine nervöse Heiterkeit zur Schau. Auch sie schien die Nacht schlaflos verbracht zu haben. Lorins Heiratsgesuch war natürlich nicht nach ihrem Geschmack gewesen und es hatte ihr nicht wenig Ueberwindung gekostet, um nicht einen Skandal hervorzurufen. Schließlich hatte sie ihren Aerger damit zu beschwichtigen versucht, daß sie sich sagte, Jeanne werde ihr als Nebenbuhlerin zu gefährlich, und sie thäte daher gut daran, sich ihrer so bald als möglich zu entledigen. Das kostete ihr freilich einen guten Freund, aber es war besser, sie brachte dieses Opfer, als daß sie das junge Ding, das mit seiner Lachlust alle Männer an sich zog, länger um sich behielt. Mit diesem Trost suchte sie sich zu helfen, aber sie war außer sich.
    Lorin machte seiner Schönen den Hof und zwar mit vielem Geschick, da sein Herz frei war. Auch war er sich ja des Wertes bewußt, den er in den Augen der Andern hatte, und machte sich deshalb keines lächerlichen Uebereifers schuldig.
    Aber am sorgsamsten beobachtete Daniel Jeannes Gesicht. Das junge Mädchen war wieder die ehemalige Salondame geworden und gab sich zwanglos der Freude hin, die junge Damen bei der Liebeswerbung eines Mannes empfinden. Bezeigte sie auch keine zu lebhafte Genugtuung, so schien sie doch entzückt über Lorins Huldigungen und sprach von Paris in den Redewendungen eines Schulmädchens, das sich auf einen Ball freut.
    Nun sah Daniel ein, daß er zu schlaff gewesen war, daß er sich in dem ländlichen Schlaraffenleben zu sehr hatte gehen lassen. Er hätte ihr während der langen Kahnfahrten, wo sie der Welt so weit entrückt waren, sein Geheimnis offenbaren, ihr seine Lebensgeschichte erzählen, die Gefühle, die er für sie hegte, erklären sollen. Diese Gelegenheit war nun versäumt, jetzt drängte sich wieder die Welt zwischen ihn und sie. Für Jeanne waren die Ausflüge, das Leben auf dem Lande nur ein kindliches Vergnügen gewesen, von dem sie sich sofort abwendete, als sich ihr etwas Andres bot, und

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