Das Gelübde einer Sterbenden
Vergangenheit, noch an die Zukunft dachte. Es genügte ihm, wenn er Jeanne im Walde herumtrippeln sah, wenn sie Gefallen fand an der lieblichen Einsamkeit der Inseln, wenn sie ihm Freundschaft bezeigte. Seiner Ansicht nach war alles in Ordnung, namentlich lebte er des Glaubens, daß das junge Mädchen das frivole aufregende Gesellschaftsleben vergessen habe. Hatte doch der Aufenthalt in der freien Natur ihn selber verjüngt und lebte er doch gleichsam in einer Umgebung, wo er nur Raum sah für seine Entfaltung aller sanfteren, zarteren Gefühle.
Er verlebte also die ganze schöne Jahreszeit in einer unerschütterlichen Sorglosigkeit. Kein Wort des Vorwurfs, kein strafender Blick! Alles, was Jeanne that, war wohl gethan, und hatte sie einmal böse Anwandlungen, so gebrach es ihm nicht an Entschuldigungsgründen. Ja, das bloße Erscheinen des jungen Mädchens versetzte ihn in Ekstasen, die ihm allen Sinn für die Wirklichkeit nahmen.
Wenn sie in seinem Kahn mit ihm dahin fuhr, durchdrang ein süßes Wohlgefühl sein ganzes Sein. Er freute sich jeden Tag mehr auf die Wasserfahrt und unternahm immer weitere Ausflüge, um länger in ihrer Nähe zu weilen. Jetzt fand er sie so schön und so gut, daß er bitter bereute, sie gequält zu haben. In Zukunft wollte er sie nie wieder schelten.
So verging ihm der Sommer in ungetrübter Hoffnungsseligkeit. Er war nicht ein einziges Mal aus seiner Rolle als unermüdlicher und vorsichtiger Führer gefallen, und sie hatte ihn sich als Spielkameraden gefallen lassen; dessen Gutmütigkeit sie mit der Tyrannei eines Kindes mißbrauchte.
Am vorletzten Tage vor der Abreise nach Paris fühlten Daniel und Jeanne sich gedrungen, den Inseln Lebewohl zu sagen. Sie fuhren zusammen hinüber und verweilten lange auf dem Wasser. Der Herbst war ins Land gekommen, gelbe Blätter trieben langsam den Strom hinab, und der Wind rauschte wehmütig in den Baumkronen.
Die Fahrt verlief monoton. Es war beinah kalt. Das junge Mädchen hüllte sich dicht in ihr Umschlagetuch; sie redete nicht, sah das entfärbte Laub an und fand es unschön. Der immer vertrauensselige Daniel dagegen überließ sich dem Reiz dieses letzten Ausflugs und dachte nicht ein einziges Mal an die Gefahren, die Paris für ihn bereit hielt.
Als sie aus dem Insellabyrinth herausruderten, bemerkten sie von ferne drei Personen am Ufer, die sie erwarteten. Eine von ihnen erkannten sie an dem ungeheuren Umfang des Fleckes, den sie auf dem grünen Rasen bezeichnete, als Herrn Tellier. Die beiden Andern mußten Gäste sein, deren Identität sie vergebens zu erraten versuchten.
Während er aber auf sie zusteuerte, überkam Daniel eine große Unruhe. Er erkannte die fremden Herren und konnte nicht begreifen, weswegen sie sich nach Le Mesnil-Rouge verirrt hatten.
»Ei der Tausend!« rief jetzt auch Jeanne, »das ist ja Herr Lorin und mein Vater!«
Am Ufer angelangt, hüpfte sie hurtig aus dem Kahn, umarmte von Rionne und lenkte ihre Schritte auf die Villa zu, in Begleitung Lorin’s der ihr von Paris so viel Amüsantes zu berichten wußte, daß sie aus dem Lachen nicht herauskam.
Daniel blieb allein am Ufer zurück. Er war tief betrübt, da er sah, daß es mit seinem Glück vorbei war.
Nach dem Abendessen trat Lorin vor ihn hin und bemerkte mit höhnischer Ueberlegenheit: »Wie Sie zu rudern verstehen, lieber Freund! Alle Wetter! Solche Kraft in den Armen hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Uebrigens danke ich Ihnen, daß Sie Jeanne die ganze Zeit über spazieren gefahren haben.«
Daniel sah ihn verwundert an und schien nicht übel Lust zu haben, den Dank abzulehnen.
»Nämlich,« fuhr Lorin erklärend fort, »ich begehe wirklich die Thorheit, von der ich damals mit Ihnen sprach.«
»Welche Thorheit?« fragte Daniel gepreßt.
»Eine ganz gehörige, gar nicht zu rechtfertigende Thorheit! Sie besitzt keinen Heller und wird auf mein Vermögen verteufelt anbeißen … Ich heirate Jeanne.«
Daniel sah ihn wie entgeistert an und begab sich, ohne ein Wort der Erwiederung gefunden zu haben, auf sein Zimmer.
XI.
Lorin zerbrach sich seit zehn Monaten den Kopf über die heiklige Frage, ob er um Jeanne’s Hand anhalten solle. So machte es der kluge Mann immer, wenn er eine große Dummheit vorhatte.
Nicht als ob er besonders verliebt gewesen wäre. Das junge Mädchen hatte ihn mit ihrer stolzen Anmut und ihrer amüsanten Satire geblendet und berauscht. Er dachte, eine solche Frau zu besitzen werde ihm Ehre machen, abgesehen davon, daß
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