Das Gelübde einer Sterbenden
sie ihm die Pforten der vornehmsten Salons weit öffnen würde. Er malte sich aus, wie er mit ihr am Arme überall empfangen werden würde, und diese Vorstellung kitzelte seine Eitelkeit mächtig. So kam es also, daß er sie mit egoistischem Verlangen liebte, ohne daß sein Herz dabei mitsprach. Aber er machte sich nie Illusionen darüber, daß der Spaß ihm viel Geld kosten würde, und deshalb sträubte er sich lange. Allmählich jedoch fing er an auszurechnen, wieviel Geld er bei dem Handel würde anlegen müssen. Er zog auch die Kleinigkeiten in Betracht und beschrieb ein ganzes Blatt mit Additions- und Multiplikationsexempeln. Die Rechnung ergab ein Facit, das ihn mit Grauen erfüllte.
Nach einer Weile begann er wieder zu rechnen, indem er verschiedene Posten strich und andre herabminderte. Er überzeugte sich nun, daß Jeanne ihm zwar noch immer sehr teuer kommen würde, die Sache aber doch zu machen sei. Gleichwohl schwanke er nun noch über vier Wochen lang. Vielleicht thäte er doch besser, er nähme sich eine Frau, die ihm Geld einbrachte, statt ihm seinen Geldbeutel zu erleichtern.
Die Liebe, die auf Eitelkeit gegründet ist, läßt sich ebenso wenig von ihrem Ziel abbringen, wie diejenige, die dem Herzen entstammt. Lorins Widerstand ließ allmählich nach und um sich vor sich selber zu entschuldigen, meinte er, ein so reicher Mann wie er dürfe sich wohl eine Laune genehmigen. Eine Dummheit wäre es ja; aber während er noch über seine Schwäche spottete, ging er auch schon zu Herrn von Rionne.
Er wußte, daß der Mann ruinirt war.
»Mein Herr,« erklärte er, »ich komme in einer wichtigen Angelegenheit und hoffe, daß Sie meine Bitte gut aufnehmen werden.«
Von Rionne glaubte einen Gläubiger zu wittern. Er rückte ihm einen Stuhl hin und sah ihn fragend an.
»Die Sache ist die,« fuhr Lorin fort. »Frau Tellier hat die Güte gehabt mich unter die Zahl ihrer Freunde aufzunehmen, und in ihrem Hause habe ich Fräulein Jeanne von Rionne kennen gelernt. Ich gebe mir die Ehre, um die Hand der jungen Dame anzuhalten.«
Der Vater, der nie daran dachte, daß seine Tochter schon im heiratsfähigen Alter stand, war so überrascht, daß er nicht gleich eine Antwort fand. Dieses Stillschweigen machte sich Lorin zu Nutze, indem er angab, wer er sei und wie hoch sich sein Vermögen belaufe. Während dieser Auseinandersetzung erhellte sich von Rionne’s Gesicht und wurde seine Haltung eine ausgesucht höfliche, verbindliche: Statt daß man ihm Geld abforderte, brachte man ihm vielleicht welches zu.
Es währte also nicht lange, so waren die Herren in einem vertraulichen Gespräch begriffen. Von Rionne war so gut wie bettelarm. Was nicht beim Spiel draufgegangen war, hatte Julia verschlungen. Der Kredit war versiegt, die Gläubiger mahnten ungestüm, und er mußte schon große Anstrengungen machen, Kniffe und Listen gebrauchen, um nicht sofort in den Abgrund zu stürzen. Schon stand er vor der Frage, wo er wohl ein Obdach finden würde, sobald sein Mietskontrakt abgelaufen wäre. Denn sich an seine Schwester zu wenden wagte er nicht: die praktisch gesinnte Frau hatte ihn sehr geringschätzig behandelt.
Der Stolz hatte ihn lange aufrecht erhalten, bis ihm etwas widerfuhr, das ihm die letzten Illusionen raubte und seinen Mut brach. Sein Kammerdiener Louis war ihm treu geblieben, so lange er in den Taschen seines Herrn noch etwas Stehlbares fand. Als aber in besagten Taschen der Dalles sich allzubreit machte, hatte sich der treue Diener eines schönen Morgens gedrückt, um sich zur Ruhe zu setzen. Nun ward es kund und offenbar, warum der steife, kühle Mann immer so gelächelt hatte: Die bescheidne, präcise Maschine hatte sich ganz einfach über die Goldstücke gefreut, die sie sich einverleibte. Aber in dieser Welt, so behaupten die Moralisten, soll jede böse That ihre Strafe erhalten. Im vorliegenden Falle bewahrheitete sich dies allerdings doppelt. Denn Louis, der das Stehlen nicht mehr lassen konnte, beging die Dummheit, seinem Herrn Julia zu stehlen und von Rionne wurde, als er eines Tages seine Geliebte wieder aufsuchen wollte, von seinem ehemaligen Kammerdiener an die Luft gesetzt.
So weit war es also mit ihm gekommen, als Lorin bei ihm um die Hand Jeanne’s anhielt. Es war ihm bis jetzt noch gar nicht in den Sinn gekommen, daß er aus seiner Tochter Nutzen ziehen konnte und der Antrag des jungen Mannes eröffnete ihm also eine ungeahnte Perspektive. Die Zuflucht, die er überall suchte, war gefunden!
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