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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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dauerte denn auch kaum eine halbe Stunde, so war sein Seelenfrieden wieder hergestellt. Der blaue Salon seiner Mätresse war für ihn ein traulicher Winkel, wo ihm nach allen Widerwärtigkeiten des Lebens wieder behaglich zu Mute wurde, wie einem Hund in seiner warmen Hütte.
    Allerdings war Julia an jenem Tage nervös, übel gelaunt und hatte ihn sehr schlecht empfangen. Darum machte er sich aber keinen besonderen Kummer, denn was er an ihr liebte, war der Duft ihrer Haut, ihre lose befestigten Kleider, ihre Keckheit der Rede und Haltung, die Unordnung und lauschige Abgeschiedenheit ihrer Wohnung. Er zog sie mit ihrer schlechten Laune auf, machte es sich bequem und vergaß alles Ungemach. Da sie aber weiter schmollte, erbot er sich mit ihr zu einer Premiere ins Theater zu gehen. Mit diesem Vorschlag war er nahe daran über ihre Verstimmtheit den Sieg davonzutragen, als eine Kammerfrau hereintrat und ihm sagte, er werde gebeten schleunigst nach Hause zu kommen.
    De Rionne fuhr es eisig durch die Glieder; sein Gewissen regte sich nun doch. Er hatte nicht den Mut seine Geliebte zum Abschied zu küssen, gab ihr nur die Hand und eilte davon. Schon auf der Treppe indeß reute ihn der unterlassene Kuß. Fürchtete er doch, er könnte sie beleidigt haben, so daß er nicht mehr wiederkommen dürfe, wenn die unangenehme Geschichte erst vorbei sei.
    Unten traf er seinen Kammerdiener Louis, einen bleichgesichtigen und kalten, großen Kerl, der sich von ihm zu Allem gebrauchen ließ. Louis hatte den großen Vorzug, sich nie über irgend etwas zu erregen, nie zu räsonniren, nichts zu sehen und zu hören; kurz, er glich einer guten Maschine, die man bloß in Bewegung zu setzen brauchte, damit sie gut arbeitete. Aber wer ihn aufmerksam beobachtete, sah oft ein Lächeln die Lippen des Menschen umspielen, aus dem man schließen konnte, daß die Maschine noch ein geheimes, für eigne Rechnung arbeitendes Räderwerk enthielt.
    Louis teilte seinem Herrn blos mit, daß er Fräulein Jeanne zu Hause in den Zimmern hatte herumirren sehen und daß sie nach ihrem Papa gerufen hätte. Er habe deshalb geglaubt, die gnädige Frau werde sterben und er müßte sich erlauben, seinen Herrn zu stören.
    Diese Nachricht erschütterte de Rionne so heftig, daß ihm die Angst und Benommenheit Thränen abpreßte. Natürlich war aber diese qualvolle Gemütsaufregung rein persönlicher, egoistischer Natur. Hätte er sein Innerstes geprüft, so würde er gefunden haben, daß die Sorge um seine Frau mit seiner Verstörtheit nicht das Geringste zu thun hatte. Er belog sich eben selber in aller Aufrichtigkeit und hatte so den tröstlichen Glauben, daß er wirklich Kummer über Blanca’s nahen Tod empfinde.
    Krank vor Aufregung und verstimmt, langte er in seinem Hause an. Als er das Zimmer der Sterbenden betrat, war er einer Ohnmacht nahe. Seine Gedanken weilten zwar nicht mehr in Julias kleinem, blauen Salon, aber sein körperliches Ich hatte die Erinnerung an den parfümdurchdufteten Alkoven mitgebracht und erschauderte nun Angesichts des großen, feierlichen Raumes, in dem der eisige Odem des Todes wehte.
    Er trat an das Bett, sah das bleiche Gesicht der Sterbenden und brach in lautes Schluchzen aus. Welch ein Unterschied! Julia, in ihrem breiten Lehnsessel, sah allerliebst aus, mit dem von aschblonden Haaren umrahmten Gesichtchen, das ein Lächeln aufhellte, während sie sich noch zu schmollen bemühte. Blanca hielt die Augen geschlossen und ihre, von der rauhen Hand des Todes berührten Züge erschienen länglicher und strenger; sie glich, mit ihrer schon starren Haltung, ihrer vergrößerten Stirn, ihren zusammengepreßten Lippen, einer Marmorstatue.
    De Rionne blieb eine Weile stumm vor ihrem unbeweglichen Antlitz, das für ihn eine grausige Beredsamkeit hatte.
    Hierauf wünschte er, daß sie den Mund aufthäte, denn er dachte, daß ein Lebenszeichen von ihr seine Beklommenheit lindern würde. Er neigte sich also zu ihr nieder und fragte sie mit bebender Stimme:
    »Blanca, — hörst Du mich? Bitte sprich mit mir!«
    Ein leichtes Zittern ging über ihr Gesicht und sie richtete die Wimpern empor, so daß ihre unsicher blickenden, tiefklaren Augen sichtbar wurden. Sie irrten wie geblendet umher, bis sie auf Rionne haften blieben. Dieser hatte noch nie einen Menschen sterben sehen und wurde, da er nicht den ächten Kummer empfand, nicht den Kummer, der mit sehenden Augen nicht sieht, der die kalte Leiche eines geliebten Wesens mit glühender Leidenschaft

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