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Das Gelübde

Titel: Das Gelübde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Schwarze Fenster in bleichen Fassaden. Die wimmernden Böen in Kaminen und Gassen. Die Blätterwirbel, die auf mich zurasten, um sich kurz vor dem Ziel in nichts aufzulösen.
    Ich schleuderte die leere Flasche in die Finsternis. Sogar ihr Aufprall ging im Getöse der Winde unter. Vielleicht hatte das Laub sie aufgefangen. Und wer fing mich auf? War denn mein Selbstmitleid noch immer nicht im Alkohol ersoffen?
    Schwankend, im Licht einer flackernden Laterne, blickte ich auf meine Taschenuhr. Gleich halb eins. Ich war hundemüde.
    Ich setzte mich an eine Straßenecke und beobachtete im Laternenschein die Oberfläche der Blätterflut. Sie bewegte sich, auch dort, wo kein Wind sie streifte. Das Laub schien sich zu verdichten und wieder auszudehnen, kreiste in langsamen, beinahe unsichtbaren Spiralen um sich selbst.
    Immer wieder kroch es voller Neugier auf mich zu, dann wieder schob es sich fort von mir.
    Natürlich hatte ich nachgedacht über das, was Limberg gesagt hatte. Welche Wahl hatte er mir auch gelassen, nach solch einem Auftritt. Ich hatte seine Worte als Unsinn verworfen, als verzweifelten Vorstoß angesichts meiner sicheren Überlegenheit. Das mag ich am meisten am Wein: Er steigert die Selbstschätzung. Oder sollte ich besser sagen: Überschätzung? Egal, ein Hoch auf den Erfinder solchen Gesöffs!
    Ich stemmte mich zitternd auf die Beine. Stolperte weiter durch die finsteren Straßen. Manchmal geriet ich erneut in den Lichtkreis einer einsamen Laterne, wankte darin vor und zurück, gefangen wie eine Obstfliege in einer Seifenblase.
    Irgendwann stand ich vor dem geschlossenen Bäckerladen.
    Die Fenster des Hauses waren dunkel. Noch während ich meinen wirren Gedanken nachhing, die eine oder andere Möglichkeit erwog, verwarf, von neuem überdachte, regte sich im Durchgang zum Hinterhof eine Gestalt. Die nächste Laterne war zu weit entfernt, um den Schatten jenseits des Torbogens zu erhellen. Noch bevor ich den Mann erkennen konnte, huschte ich in die Nische der Ladentür und spähte mit einem Auge um die Ecke.
    Ich war nicht allzu überrascht, als Pater Limberg unter dem Torbogen hervortrat. Zielstrebig ging er an mir vorbei, kaum eine Armlänge entfernt, ohne mich in meinem Versteck zu bemerken. Er trug eine Stofftasche unter dem Arm. Sein langer Mantel flatterte im Wind, der Saum wirbelte Blätter vom Boden.
    Als er weit genug entfernt war, verließ ich mein Versteck und schlich durch das Tor auf den Hinterhof. Ein Blick hinauf zu Annas Fenster versicherte mir, daß es in der Kammer dunkel war. Kein Kerzenflimmern. Der Drang, einfach anzuklopfen, alles aufzudecken, den ganzen bösen Schwindel wie Staub aus dem Schatten hervorzukehren, war ungemein stark. Die Aussicht, Anna vor Schlimmerem zu bewahren, lockte mich.
    Mehr noch aber, Limberg das Handwerk legen.
    Statt dessen aber lief ich zurück auf die Straße, jetzt ein wenig klarer im Kopf. Klar genug, um den Weg zum Gasthof zu finden. Klar genug sogar, um in meiner Kammer einen Brief aufzusetzen. Alles niederzuschreiben, die ganze Schande des eifernden Paters. Ich faltete das Papier, versiegelte es mit Kerzenwachs. In der menschenleeren Schankstube stand ein Holzkasten für die Post der Gäste. Der Brief verschwand im Schlitz.
    Als ich zu Bett ging, tat ich es im Bewußtsein, den richtigen Schritt getan zu haben.
    Wirklich zu Bewußtsein aber kam ich erst am Morgen.

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    6
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    »Wo ist die Post?« fragte ich den Wirt, der hinter der Theke Gläser polierte.
    Verwundert über meine Erregung ließ der Mann das Glas sinken. »Es ist nach elf«, sagte er und beäugte mich argwöhnisch. »Die Kutsche ist seit einer Stunde fort.«
    »Und die Post mit ihr?«
    »So ist es.«
    Fluchend ging ich im Schankraum auf und ab. Mein Kopf schmerzte. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ihn jemand die Nacht hindurch mit einem Schmiedehammer bearbeitet. Ich hatte den verfluchten Brief tatsächlich abgeschickt. Spätestens in zwei Tagen würde er die Regierungspräfektur zu Münster erreichen. Meine einzige Hoffnung war, daß ich im Suff solches Wirrwarr gekritzelt hatte, daß man es schnell als Gefasel eines Betrunkenen erkennen würde. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir von Herzen, mich durch und durch lächerlich zu machen. Irgendein kleiner Beamter würde den Brief in den Abfall werfen, und er würde gut daran tun.
    »Wünschen Sie, daß meine Frau Ihnen rohen Fisch bringt?«
    fragte der Wirt. »Ein altes Hausrezept gegen den Kater.« Noch immer

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