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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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nicht willst, deswegen mag ich dich, deswegen bringe ich dir diesen Test bei. Aber was ist, wenn es trotzdem passiert? Was, wenn ihm deine Worte scheißegal sind? Was ist, wenn er nur noch starker kämpft, je mehr du dich gegen ihn wehrst?
    Kommandant Ga trieb mich in die Ecke, und ich holte aus. Es war ein kraftloser Schlag. Ich hatte Angst, richtig zuzuschlagen. Ga wischte meine Faust einfach beiseite und versetzte mir einen harten rechten Schwinger. Was ist, wenn du dich bis zum Letzten wehrst, aber es passiert trotzdem? , fragte er. Was bist du dann, hm?
    Ich verpasste ihm einen raschen Tritt ans Bein, der ihn zum Stolpern brachte. Die Erregung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Blitzschnell landete er einen hohen Rundtritt, dass mein Kopf nur so herumgerissen wurde.
    Dazu wird es nicht kommen , sagte ich. Ich lasse das nicht zu.
    Deswegen habe ich dich auserwählt. Ga verpasste mir einen brennenden Tritt mit Links direkt in die Leber. Natürlich gibst du alles, natürlich wehrst du dich mit ganzer Macht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich dafür achte. In all der Zeit bist du der Erste, der je richtig gekämpft hat, du bist der Einzige, der mich versteht, ja, wir zwei verstehen uns. Ich warf einen schnellen Blick nach unten und sah, wie erregt der Kommandant war, sein Umkyuong bog sich stramm. Zugleich hatte er ein süßes, kindliches Lächeln auf dem Gesicht. Und jetzt zeige ich dir meine Seele, jetzt zeige ich dir die große Narbe auf meiner Seele , verkündete Ga und kam immer näher auf mich zu, die Hüfte schon für den nächsten Tritt verdreht. Es wird weh tun – ich will dir nichts vormachen, der Schmerz hört eigentlich nie auf. Aber denk nur daran: Gleich tragen wir dieselbe Narbe. Gleich werden wir wie Brüder sein.
    Ich wich nach links aus, bis ich unter der baumelnden Glühbirne stand. Mit einem Sprungtritt fegte ich durch die Birne, und im letzten Aufblitzen hing ein feiner Scherbenregen wie gefroren in der Luft. Dann war es dunkel. Stockdunkel. Ich hörte Kommandant Ga herumtappen. So bewegen sich Leute, die nicht an die Dunkelheit gewöhnt sind.«
    »Und was ist dann passiert?«, fragte Buc.
    »Dann habe ich mich an die Arbeit gemacht«, antwortete Ga.
    *
    Sun Moon verbrachte den Abend im Schlafzimmer. Kommandant Ga machte den Kindern kalte Nudeln zum Abendessen; die ließen sie über Brandos Nase baumeln, um zu sehen, wie er mit seinem gewaltigen Gebiss danach schnappte. Erst als der Tisch wieder abgeräumt war, ließ Sun Moon sich wieder blicken – im Bademantel, Zigarette im Mund, mit verheultem Gesicht. Sie befahl den Kindern, ins Bett zu gehen, und sagte dann zu Ga: »Ich muss diesen amerikanischen Film sehen. Den, der angeblich der beste ist.«
    In dieser Nacht schliefen die Kinder mit dem Hund auf dem Podest am Fußende des Betts, und als es finster wurde in Pjöngjang, legten sich Ga und Sun Moon nebeneinander aufsBett und schoben Casablanca in den Laptop. Die Batterieanzeige sagte ihnen, dass sie genau neunzig Minuten Zeit hatten, anhalten durften sie ihn also nicht.
    Anfangs schüttelte Sun Moon nur den Kopf über die primitiven Schwarzweißaufnahmen.
    So gut es ging, versuchte er die englischen Dialoge für sie ins Koreanische zu übersetzen, und wenn die Worte nicht schnell genug herauswollten, malten seine Finger die Worte in die Luft.
    Eine Zeitlang zog sie ein ablehnendes Gesicht. Sie beschwerte sich darüber, dass in dem Film alles viel zu schnell ging. Für sie waren die Charaktere elitäre Schnösel, die den ganzen Tag lang in schicken Klamotten Drinks zu sich nahmen. »Wo sind die normalen Bürger? Mit echten Problemen?«, wollte sie wissen. Über das »Transitvisum«, das den Figuren im Film die Flucht erlaubte, konnte sie nur lachen. »Einen magischen Passierschein, mit dem man rauskommt, gibt es nicht.«
    Sie bat ihn, den Film anzuhalten. Er wollte nicht. Aber sie bekam Kopfschmerzen davon!
    »Ich verstehe nicht, zu wessen Ehren dieser Film gemacht wurde«, sagte sie. »Und wann hat der Held endlich seinen Auftritt? Wenn nicht bald eine Gesangseinlage kommt, schlaf ich ein.«
    »Psst«, machte er.
    Den Film anzusehen quälte sie, das war offensichtlich. Jede Szene stellte ihr gesamtes Leben in Frage. Die vielsagenden Blicke, die gewechselt wurden, die sprunghaften Begierden der Figuren setzten ihr schrecklich zu, und sie konnte sich nicht dagegen wehren. Als die schöne Ingrid Bergman immer häufiger auftrat, fing Sun Moon an, ihr gute Ratschläge zu

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