Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
er.
»Wirklich?«
»Ja. War hinter einem Ölschinken von Kim Jong Il versteckt.«
»Und – ist was Verwertbares drauf?«
»Das meiste sind Karten«, antwortete Ga. »Sind auch eine Menge technischer Zahlen, Diagramme, Baupläne und so dabei. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«
»Das sind Karten von Uranminen«, erklärte Buc. »Ga war für alle Abbaustandorte verantwortlich. Außerdem hatte er auch noch den gesamten Verarbeitungsprozess unter sich – vom Uranerz bis zur Anreicherung. Ich habe alles für ihn beschafft. Hast du schon mal versucht, Zentrifugenröhren aus Aluminium übers Internet zu besorgen?«
»Ich dachte, Minister für Gefängnisbergwerke wäre ein rein symbolischer Posten, und er braucht nur die Formulare zu unterschreiben, damit immer genug Sklavenarbeiter nachgeliefert werden.«
»Das war vor der Entdeckung der Uranvorkommen«, entgegnete Buc. »Wenn du willst, kann ich dir die Dateien erklären. Wir können uns zusammen an den Computer setzen.«
»Guck dir den lieber nicht an. Es sind auch Fotos drauf«, sagte Ga.
»Von mir?«
Ga nickte. »Und von tausend anderen Männern.«
»Ich weiß, wonach die Bilder aussehen. Aber mit mir hat er das nicht gemacht.«
»Du brauchst nicht darüber zu reden.«
»Doch, ich will, dass du das weißt«, sagte Buc. »Er plante eine Mann-Attacke . Aber als er mich dann auf dem Boden hatte, als er mit mir hätte tun können, was er wollte, da hat er das Interesse verloren. Er wollte nur noch ein Bild als Andenken schießen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für ein schönes Gefühl das gewesen sein muss, diesem Mann das Leben zu nehmen. Bei dir hat er es auch versucht, oder?«
Ga sagte nichts.
Buc ermutigte ihn: »Mir kannst du’s doch erzählen. Wie du ihn fertiggemacht hast. Du hast es doch gerade so mit der Wahrheit.«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen«, erwiderte Ga. »Ich war auf der untersten Sohle des Bergwerks. Die Decken waren niedrig, und in jedem Abschnitt hing nur eine nackte Glühbirne. Durch die Decke rieselte das Grundwasser, und es war schrecklich heiß, alles war voller Dampf. Wir waren zu mehreren dort unten und sahen uns eine weiße Gesteinsader an. Darum ging es, das weiße Gestein da rauszuholen. Dann tauchte Kommandant Ga im Stollen auf, ganz plötzlich stand er schweißtriefend vor uns.
Du musst die Männer unter dir kennen , sagte Ga zu mir. Du musst ihr Innerstes kennen. Nach innen siegen heißt nach außen siegen.
Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört.
Pack einen Mann , befahl Kommandant Ga. Den da, lass uns das Innerste von dem da erforschen.
Ich winkte einen der Männer herbei.
Pack ihn!, brüllte Kommandant Ga. Pack ihn so, dass er weiß, dass du es ernst meinst. Nimm ihn dir so vor, dass er weiß, was Sache ist.
Ich ging auf den Arbeiter zu. Er sah den Ausdruck auf meinem Gesicht und ich den auf seinem. Er drehte mir den Rücken zu, und ich umklammerte ihn von hinten mit den Armen. Als ich mich wieder umdrehte, um zu sehen, ob der Kommandant damit zufriedengestellt war, sah ich, dass seine Uniform am Boden lag und er auf einmal nackt dastand.
Kommandant Ga sprach weiter, als hätte sich nichts verändert. Es muss klar sein, dass du es wirklich ernst meinst. Er muss verstehen, dass es kein Entkommen gibt. Nur so kannst du herausfinden, ob ihm die Vorstellung zusagt oder nicht. Kommandant Ga packte einen anderen Häftling um den Leib. Du musst ihn festhalten. Er muss kapieren, dass du stärker bist, dass es keinen Ausweg gibt. Vielleicht gesteht er sich erst dann ein, was er wirklich will, wenn du ihn von hinten packst, und dann verrät ihn sein Umkyuong.
Kommandant Ga packte den Mann so, dass der vor Angst zu schlottern begann.
Aufhören! , sagte ich.
Kommandant Ga drehte sich mit erstauntem Gesicht zu mir um. So ist’s recht. Genau das sagst du zu ihm. Aufhören. Wusste ich’s doch, dass du der einzige wahre Mann hier bist.
Kommandant Ga trat einen Schritt auf mich zu, und ich wich einen Schritt zurück.
Tun Sie’s nicht , sagte ich.
Haargenau. So sagt man das. Ein seltsames Licht funkeltein seinen Augen. Aber er hört nicht auf dich, darum geht’s ja. Er ist stärker als du, und er kommt trotzdem.
Wer kommt trotzdem?
Wer? , fragte Ga und lächelte. Er.
Ich wich immer weiter zurück. Bitte , flehte ich ihn an. Bitte, das muss doch nicht sein.
Und ob. Das muss sein , sagte Kommandant Ga. Schau, wie du dich wehrst, du tust alles, damit es nicht passiert, es ist klar, dass du es
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