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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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dem Hund und Sun Moon, die alle nachdenklich ins Feuer blickten.
    »Mein Magen knurrt«, meinte der Junge.
    »Na hervorragend«, antwortete Kommandant Ga. »Die Suppe ist fertig.«
    »Aber wir haben doch gar keine Schalen«, wandte das Mädchen ein.
    »Die brauchen wir auch nicht.«
    »Und was ist mit Brando?«, fragte der Junge.
    »Der muss sich selbst was zu essen suchen«, sagte Ga und nahm dem Hund den Strick ab. Der rührte sich jedoch nicht – er saß nur da und starrte den Kochtopf an.
    Einen einzigen Löffel hatten sie, und den reichten sie imKreis herum. Die Suppe mit ihrem Geschmack nach rauchigem Fisch, Schafgarbe und einem Hauch Shiso war hervorragend geraten.
    »Das Gefängnisessen ist gar nicht so schlecht«, sagte das Mädchen.
    »Ihr zwei macht euch sicher Gedanken um euren Vater«, sagte Kommandant Ga.
    Die Kinder blickten nicht auf, sondern löffelten eifrig weiter.
    Sun Moon warf ihm einen bösen Blick zu: Er war dabei, sich auf gefährliches Terrain zu begeben.
    »Die Wunde des Nichtwissens. Das ist die Wunde, die nie verheilt«, erklärte Ga ihr.
    Das Mädchen beäugte ihn mit misstrauischem Blick.
    »Ich verspreche euch, dass ich euch von eurem Vater erzählen werde«, fuhr Ga fort. »Nachdem ihr euch noch ein bisschen gewöhnt habt.«
    »An was denn?«, wollte der Junge wissen.
    »An ihn natürlich«, klärte ihn das Mädchen auf.
    »Ich habe euch doch gesagt, Kinder, dass euer Vater auf einem langen Einsatz ist«, unterbrach Sun Moon.
    »Das ist nicht wahr«, entgegnete Kommandant Ga. »Ich erzähle euch bald die ganze Geschichte.«
    Zwischen den Zähnen hindurch zischte Sun Moon ihn an: »Wag es ja nicht, ihre Unschuld zu zerstören!«
    Im Wald war ein Rascheln zu hören. Brando stand mit gespitzten Ohren und gesträubtem Nackenfell da.
    Ein Lächeln trat auf das Gesicht des Jungen. Er kannte die Befehle, die Ga dem Hund beigebracht hatte; endlich bot sich die Gelegenheit, einen anzuwenden. »Brando, fass!«, rief der Junge.
    »Nein!«, schrie Ga, aber es war zu spät. Der Hund warbereits losgerast und schlug hektisch Haken durch das Unterholz, mit wütendem Gebell, das gar nicht mehr aufhören wollte. Dann hörten sie eine Frau aufkreischen. Ga schnappte sich die improvisierte Leine und rannte los. Der Junge und das Mädchen folgten ihm auf den Fersen. Eine Zeitlang rannte Ga an dem schmalen Bach entlang, das Wasser war noch aufgewühlt von den Hundepfoten. Kurz darauf erblickte er eine Familie, die sich verängstigt gegen einen Felsen drückte, vor ihnen der kläffende Brando. Die Familie ähnelte der ihren auf unheimliche Weise – ein Mann und eine Frau, ein Junge und ein Mädchen, zudem eine ältere Tante. Der Hund schnappte aufgeregt mit dem Kiefer in die Luft und sprang herum, als wolle er sich über einen Hacken nach dem anderen hermachen. Langsam ging Ga auf den Hund zu und zog ihm die Schlaufe über den Kopf.
    Ga zog den Hund ein Stück zurück und sah sich die Familie genauer an. Ihre Fingernägel waren vor lauter Unterernährung weiß verfärbt, und sogar das Mädchen hatte schon graue Zähne. Das Hemd hing an dem Jungen herunter wie an einem Kleiderbügel. Beiden Frauen war ein Großteil der Haare ausgegangen, und der Vater bestand aus nichts als straffer Haut und Sehnen. Da bemerkte Ga, dass der Vater etwas hinter dem Rücken versteckte. Er schüttelte die Leine, und Brando machte einen Satz nach vorn.
    »Was hast du da?«, schrie Ga. »Zeig’s mir. Zeig’s mir, sonst lasse ich den Hund los.«
    Sun Moon stieß schwer atmend zu ihnen. Der Mann zog ein totes Eichhörnchen mit abgerissenem Schwanz hinter dem Rücken hervor.
    Es war unklar, ob sie dem Hund das Eichhörnchen weggenommen hatten oder der Hund es ihnen wegnehmen wollte.
    Sun Moon musterte die Familie. »Ich fasse es nicht. Diesind am Verhungern. Die bestehen ja aus nichts als Haut und Knochen.«
    Das dünne Mädchen sah seinen Vater an. »Wir verhungern doch nicht, oder, Papa?«
    »Natürlich nicht«, erwiderte der Vater.
    »Verhungern hier direkt vor unseren Augen!«, empörte sich Sun Moon.
    Sie streckte ihnen die Hand hin und zeigte auf einen Ring. »Diamant«, sagte sie, streifte ihn ab und drückte ihn der verängstigten Mutter in die Hand.
    Ga trat einen Schritt vor und schnappte sich den Ring. »Das ist doch Blödsinn«, sagte er zu Sun Moon. »Der Ring ist ein Geschenk des Geliebten Führers. Weißt du, was mit ihnen passieren würde, wenn sie mit so einem Ring erwischt werden?« In der Tasche hatte Ga nur

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