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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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Dos Scheinwerfer vorbeiwirbelte.
    Der Kapitän wirkte aufgekratzt und hatte ein todesmutiges Grinsen im Gesicht. »Die Russen nennen diese Rinne den Foxtrott«, sagte er.
    Weiter vorn erspähte Jun Do ein Wrack. Er rief dem Ersten Maat etwas zu, und gemeinsam leuchteten sie es an. Es war ein Patrouillenboot, das zerschlagen an einer Austernbank auf der Seite lag. Schiffsname oder Länderkennzeichnung waren nicht mehr auszumachen, es musste schon vor langer Zeit auf den Felsen aufgelaufen sein. Die Antenne war klein und spiralförmig, was dafür sprach, dass die Funkanlage die Bergung nicht lohnte.
    »Ich wette, das ist woanders leckgeschlagen und wurde von der Strömung hierhergetragen«, meinte der Kapitän.
    Jun Do war sich da nicht so sicher. Der Steuermann sagte nichts.
    »Guckt nach, ob es ein Rettungsboot hat«, ordnete der Kapitän an.
    Der Zweite Maat war sauer, weil er auf der falschen Seite stand und nichts mitbekam. »Suchen wir Überlebende?«, fragte er.
    »Kümmer du dich um den Scheinwerfer«, sagte der Steuermann.
    »Und?«, fragte der Kapitän.
    Der Erste Maat schüttelte den Kopf.
    Jun Do sah einen roten Feuerlöscher, der immer noch am Heck des Wracks festgezurrt war; so sehr er sich einen für die Junma wünschte, hielt er doch den Mund, und mit einem Wusch waren sie am Wrack vorbei.
    »Na, wer will schon für ein Rettungsboot sein Schiff versenken«, meinte der Kapitän.
    Das Feuer auf der Junma hatten sie mit Eimern löschen können. So war es zum Glück nicht dazu gekommen, dass sie ihr Schiff verlassen und dem Zweiten Maat verraten mussten, dass sie kein Rettungsboot besaßen.
    Der Zweite Maat fragte: »Ja, und was ist nun mit dem Rettungsboot?«
    »Du hältst schön deinen Scheinwerfer fest«, sagte der Steuermann.
    Sobald sie die Riffbrecher hinter sich hatten, durchsegelte die Junma das ruhige Wasser, als habe man sie von der Leine gelassen. Über ihnen hing die schroffe Steilküste der Insel, in deren Lee endlich eine große Lagune auftauchte, die von den äußeren Strömungen in Bewegung gehalten wurde. Hier bestand Hoffnung auf Garnelen. Erst schalteten sie die Lichter aus, dann die Maschine, dann ließen sie sich in die Lagune hineintreiben. Bald wurden sie von der Strömung langsam im Kreis bewegt. Die Flut stieg konstant und ruhig, und selbstals der Kiel Sand berührte, schien das niemanden zu beunruhigen.
    Unter schräg abfallenden Obsidianklippen lag ein steiler, scharf glitzernder Strand aus schwarzem, vulkanischem Glas, der blutende Füße versprach. Zwergwüchsiges Krummholz krallte sich in den Sand; im blauen Mondlicht sahen sie, dass der Wind sogar die Nadeln verbogen hatte. Auf dem Wasser schwamm zusammengetriebenes Treibgut, das aus der Meerenge hereingespült worden war.
    Der Maschinist fuhr die Ausleger aus und ließ die Wadennetze so weit herunter, dass sie knapp unter der Wasseroberfläche schwammen. Die Maate sicherten die Leinen und Blöcke und leierten die Netze dann wieder hoch, um zu sehen, ob Garnelen darin waren. In dem grünen Nylongewebe zappelten ein paar vereinzelte Garnelen herum, aber es war noch etwas anderes ins Netz gegangen.
    Als sie ihren Fang ausleerten, lagen zwischen den phosphoreszierend zappelnden Garnelen zwei Turnschuhe. Sie passten nicht zusammen.
    »Das sind amerikanische Schuhe«, sagte der Maschinist.
    Jun Do las, was auf den Schuhen stand. »Nike«, sagte er.
    Der Zweite Maat griff sich einen.
    Jun Do sah in seinen Augen, was er dachte. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Die Rudermädchen sind weit weg von hier.«
    »Lies mir das Etikett vor«, verlangte der Zweite Maat. »Ist das ein Frauenschuh?«
    Der Kapitän kam und untersuchte einen der Schuhe. Er schnupperte daran und bog die Sohle um, um zu sehen, wie viel Wasser herauskam. »Vergiss es, der ist nagelneu.« Er ließ das Flutlicht einschalten, und auf dem jadegrauen Wasser dümpelten Hunderte Schuhe, vielleicht sogar Tausende.
    Der Steuermann suchte das Meer mit dem Scheinwerfer ab. »Ich hoffe bloß, dass kein Container in dieser Badewanne rumtreibt und uns gleich den Kiel abreißt«, sagte er.
    Der Kapitän wandte sich an Jun Do. »Irgendwelche SOS-Rufe?«
    Jun Do antwortete: »Du kennst doch die Vorgaben.«
    Der Zweite Maat fragte: »Was sind denn die Vorgaben bei SOS?«
    »Ich kenne die Vorgaben«, sagte der Kapitän. »Ich will nur wissen, ob vielleicht eine ganze Flottille auf uns zukommt, um ein in Not geratenes Schiff zu bergen.«
    »Nein, ich hab nichts gehört«,

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