Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
Vom Netzwerk:
Oberfläche. Es hieß, dass diese Garnelen mit ihren großen, trüben Augen noch zappelnd und mitKaviar garniert dem Geliebten Führer höchstpersönlich gereicht wurden.
    Der Kapitän griff nach dem Fernglas und sah sich die Stelle an. Dann läutete er die Glocke, und die Maate in ihren neuen Schuhen sprangen auf.
    »Auf die Beine, Genossen!«, rief der Kapitän. »Jetzt werden wir Helden der Revolution.«
    Der Kapitän bemannte die Netzausleger selbst, während Jun Do dem Maschinisten dabei half, einen Lebendtank aus zwei Regenfässern und einer Bilgenpumpe zu basteln. Doch in das Tiefenwasser hineinzufahren war schwieriger als gedacht. Was anfangs nur wie Dunst gewirkt hatte, erwies sich als kilometerbreite Nebelbank. Die kabbelige See schlug in unberechenbaren Winkeln ans Boot, man verlor schnell das Gleichgewicht, Nebelfetzen rasten über die Wellenkämme, Dunstfelder und undurchsichtige Wolkenwände wechselten sich blitzschnell ab.
    Gleich ihr erster Versuch war erfolgreich. Im Wasser waren die Garnelen durchsichtig, dann weiß, wenn das Netz eingeholt wurde, dann wieder durchsichtig, wenn sie im schwappenden Lebendtank umherschnellten und ihre langen Fühler aufstellten und wieder einrollten. Als der Kapitän Befehl gab, die Netze erneut auszubringen, waren die Vögel verschwunden, und der Steuermann tuckerte suchend durch den Nebel.
    Dem Wasser konnte man nicht ansehen, in welche Richtung die Garnelen verschwunden waren; die Maate gingen mit dem Seegang mit und warteten. Plötzlich brodelte es an der Oberfläche. »Die Thunfische haben sie gefunden«, rief der Kapitän, und der Erste Maat ließ die Netze erneut zu Wasser. Der Steuermann warf das Ruder herum und kreiste sie ein, wobei die Junma unter dem Zug beinahe gekentert wäre. Zwei Wogen liefen spitz ineinander, der Kutter geriet in ihrdoppelt tiefes Wellental, und die losen Schuhe flogen nur so über Bord, doch der Fang hielt, und als der Maschinist die Netze in die Luft leierte, blinkte es wie verrückt, als ob sie Kronleuchter gefischt hätten. Da begannen die Garnelen im Becken ebenfalls zu leuchten, als hielten sie geheime Zwiesprache.
    Alle wurden am Lebendbecken gebraucht, um den Fang zu dirigieren, der wer weiß wohin schwingen konnte, sobald er über Deck baumelte. Der Maschinist bediente die Winde, aber im letzten Augenblick brüllte der Kapitän Stopp , während das Netz wild hin- und herschwang. Der Kapitän starrte an der Reling in den Nebel. Alle anderen hielten ebenfalls inne und starrten ins weiße Nichts, erschrocken von der plötzlichen Stille auf dem krängenden Schiff unter dem kreiselnden Netz. Der Kapitän bedeutete dem Steuermann, er solle das Nebelhorn bedienen, und sie horchten auf eine Antwort aus der Trübnis.
    »Geh nach unten«, sagte der Kapitän zu Jun Do, »und sag mir, was du hörst.«
    Aber es war schon zu spät. Im nächsten Augenblick lichtete sich der Nebel: Der massive Bug einer amerikanischen Fregatte tauchte vor ihnen auf. Die Junma stampfte mit voller Kraft achteraus, gewann aber kaum Abstand von dem amerikanischen Kriegsschiff. Männer mit Feldstechern säumten die Reling. Dann kam schon ein Schlauchboot auf sie zu, und die Amerikaner warfen Leine. Da waren die Männer, die Schuhgröße fünfzig trugen.
    In den ersten paar Minuten gaben die Amerikaner sich sehr geschäftsmäßig und folgten offensichtlich einem Ritual, bei dem es um schneidiges Heben und Anlegen ihrer schwarzen Gewehre ging. Sie durchkämmten erst die Brücke und Kombüse, dann die Quartiere unter Deck. Während sie sichdurch den Kutter voranarbeiteten, hörte man sie »Hier ist nichts, hier ist nichts« rufen.
    Auch ein südkoreanischer Marineoffizier war dabei. Er blieb an Deck, während die Amerikaner das Schiff sicherten. Der Südkoreaner trug eine frisch gebügelte weiße Uniform, und auf seinem Namensschildchen stand »Pak«. Sein Helm war schneeweiß mit schwarzen und hellblauen Streifen und silbern glänzendem Rand. Pak verlangte das Ladungsverzeichnis, die Registrierung im Heimathafen des Schiffes sowie das Kapitänspatent; nichts von alledem hatten sie. Wo war ihre Flagge, schnarrte Pak, und warum hatten sie auf den Funkruf nicht reagiert?
    Die Garnelen schwankten im Netz hin und her. Der Kapitän wies den Ersten Maat an, sie in das Lebendbecken zu entleeren.
    »Nein«, sagte Pak. Er zeigte auf Jun Do. »Der da soll es machen.«
    Jun Do sah den Kapitän an. Der nickte. Jun Do ging zum Netz und versuchte, es auf dem stampfenden Schiff

Weitere Kostenlose Bücher