Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
wesentliche Teile der Szene nach und übten zentrale amerikanische Sätze ein. Das Telefon war braun. Es stand auf einem hohen Hocker. Es klingelte drei Mal. Der Senator sprach nur vier Worte hinein: »Ja ... selbstverständlich ... natürlich, Sir.«
Der Rückflug erschien Jun Do doppelt so lang wie der Hinflug. Er fütterte den Welpen mit einem halb gegessenen Burrito vom Frühstück. Dann verschwand der kleine Hund unter den Sitzreihen. Als es dunkel wurde, sah Jun Do in der Ferne die roten und grünen Positionslichter anderer Düsenjets. Als alle schliefen und sich außer den Piloten, die im Schein ihrer Instrumente rauchten, nichts mehr im Flugzeug rührte, kam Buc zu Jun Do.
»Da ist deine DVD«, sagte er. »Der beste Film aller Zeiten.«
Jun Do drehte die Hülle in dem schwachen Leselicht herum. »Danke«, sagte er, fragte dann aber: »Geht es in der Geschichte um Triumph oder um Niederlage?«
Genosse Buc zuckte die Achseln. »Angeblich geht es um Liebe«, sagte er. »Aber ich gucke keine Schwarzweißfilme.« Er musterte Jun Do. »Jetzt hör auf – eure Reise war doch keine Niederlage, falls du das meinst.«
Er zeigte in die abgedunkelte Kabine, wo Dr. Song mit dem Welpen auf dem Schoß schlief.
»Mach dir bloß keine Sorgen um Dr. Song«, fuhr Genosse Buc fort. »Der Typ kommt immer durch. Im Krieg hat er es geschafft, sich von einer amerikanischen Panzermannschaft adoptieren zu lassen. Er hat den GIs beim Lesen der Straßenschilder und bei den Verhandlungen mit den Zivilisten geholfen. Sie haben ihm dafür ein paar von ihren Konservenbüchsen abgegeben, und er konnte sich den ganzen Krieg von der sicheren Warte eines Panzerturms aus angucken. Das hat er fertiggebracht, als er gerade mal sieben Jahre alt war.«
»Sagen Sie mir das jetzt, um mich oder sich selbst zu beruhigen?«, wollte Jun Do wissen.
Genosse Buc reagierte nicht. Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Wie kriege ich bloß diese verdammten Motorräder aus dem Flugzeug?«
In der Dunkelheit machten sie eine Zwischenlandung auf der unbewohnten Insel Krasnatow. Es gab keine Landefeuer, also landete der Pilot nach Koppelnavigation und richtete die Maschine auf das schwach violette Schimmern des mondbeschienenen Landestreifens aus. Den zweitausend Kilometer vom nächsten Festland entfernten Fliegerhorst hatten die Sowjets als Auftankstation für ihre U-Boot-Jäger angelegt. Im Verschlag mit den Kerosinpumpen stand eine Kaffeedose. Unter die legte Genosse Buc einen Fächer Hundert-Dollar-Scheine und half den Piloten dann mit den schweren Jet-A1-Schläuchen.
Während Dr. Song weiterschlief, standen Jun Do und Genosse Buc im pfeifenden Wind und rauchten. Eine Landebahn, drei Kerosintanks, guanoweiße Felsen, bunter Plastikmüll und angeschwemmte Treibnetze – das war die ganze Insel. Genosse Bucs Narbe glänzte im Mondlicht.
»Niemand ist jemals sicher«, sagte Genosse Buc, und sein kumpelhafter Ton war verschwunden. Die Flügel der alten Iljuschin ächzten und knarrten unter der Last des Treibstoffs, die sie aufnahmen. »Aber wenn ich dächte, dass irgendjemand in diesem Flugzeug auf dem Weg ins Lager wäre«, sagte er und drehte sich dabei so zu Jun Do, dass er auf jeden Fall verstanden wurde, »dann würde ich ihm höchstpersönlich an diesen Felsen den Schädel einschlagen.«
Die Piloten zogen die Bremsblöcke heraus, drehten das Flugzeug mit der Nase in den Wind, testeten die Motoren, und bevor sie schließlich über dem dunklen, aufgewühlten Wasser abhoben, öffneten sie noch schnell die Abwasserklappe und hinterließen auf der Startbahn eine braune Spur.
China überquerten sie in Dunkelheit; bei Tagesanbruch flogen sie über der Bahnlinie, die von Shĕnyáng Richtung Süden bis Pjöngjang führte. Der Flughafen lag leider nördlich der Stadt, sodass Jun Do keinen guten Blick auf die sagenhafte Hauptstadt mit ihrem Stadion 1. Mai , dem Mansudae-Großmonument und dem rotflammenden Juche-Turm erhaschen konnte. Die Krawatten wurden geradegerückt, die Abfälle eingesammelt, und schließlich drückte Genosse Buc Jun Do sogar den Welpen in die Hand; seine Männer waren durch das gesamte Flugzeug gerobbt, um ihn einzufangen.
Aber Jun Do wollte den kleinen Hund nicht annehmen. »Es ist ein Geschenk für Sun Moon«, sagte er. »Könnten Sie es ihr überreichen, als Geschenk von mir?«
Die Augen des Genossen Buc waren voller Fragen, aber er sprach keine davon aus. Er nickte nur.
Das Fahrwerk wurde ausgeklappt, und als sie zur Landung
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