Das Gesamtwerk
wütend von mir weg. Das Auge glitschte hoch über den Rand auf den Fußboden. Da blieb es liegen. Gespannt sah ich hin. Das Auge lag auf der Erde. Und es war Gottes Auge. Gottes Auge lag auf der Erde. Aber es sagte nichts. Ich sah noch einmal hin. Nein. Nichts. Ich stand auf. Ich stand langsam auf, um Gott Zeit zu lassen. Ganz langsam ging ich zur Küchentür. Ich faßte nach dem Türgriff. Ich drückte ihn langsam herunter. Mit dem Rücken zu dem Auge hin wartete ich so noch einen langen langen Augenblick an der Küchentür. Es kam keine Antwort. Gott sagte nichts. Da ging ich, ohne mich nach dem Auge umzusehen, laut aus der Tür.
Ich seh in einen Spiegel
Frühe Gedichte
Weg
Ich seh in einen Spiegel – –
und bin so jung.
Dämmerung
wird sein,
wenn morgen ich ein meinen Spiegel sehe,
Kerzenschein,
wenn hinter mir der bleiche Bruder steht.
Und dann – –
an irgendeinem Tage
ist der Spiegel leer.
Ich stand und sann
und flüsterte die Totenklage
meiner Jugend, schwer – – –
Gib mir mein Lachen!
Gib mir den Frieden wieder,
kalter Spiegel.
Reiterlied
Ich bin ein Reiter,
stürmend durch die Zeit!
Durch die Wolken führt mein Ritt –
Mein Pferd greift aus!
Voran! Voran!
Der Sturm jagt neben mir!
Voran! Mein Pferd! Voran!
Durch die Gefahren hin stürmen wir –
ich und du –
mein Pferd!
Voran!
Durch die Zeit!
Ich bin ein Reiter!
Sappho
Sieh, all Dein Öffnen an das Leben war
ein Lieben und ein trunknes Hingegeben.
O nimm den Bruder mit vor den Altar!
Wie Götter sich die Früchte zueinanderheben,
so küßt ihr euch. Zu den Plejaden
hinlacht die Seligkeit, die ihr beginnt.
Nun lösen Kleider sich an den Gestaden,
und Meer um schmale, weiße Brüste rinnt.
Hell perlend aus den kühlen Wellen
steigt auf ein Singen: Liebeslieder!
Und Düfte zart von euren Leibern quellen –
O küßt, Ihr Töchter, Sapphos schöne Glieder!
Da schreitest Du, O Göttin, selig hin –
geliebt und liebend – und hast allen Sinn.
Chinesisches Liebesgedicht
Im Kleinen lächelt uns
die große Weisheit an.
Deshalb – O Tschau gei yen –
kam ich zu Dir.
Du bist wie Atem
einer Orchidee …
Tschau-gei-yen
war eine kleine Göttin,
die so zart und graziös war,
daß sie auf einer flachen Hand
tanzen konnte.
Ziel
Mag auch der Weltenlauf
ruh’n unter Wipfeln –
wir wollen hoch hinauf
zu leuchtenden Gipfeln!
Schmal sind die Stege –
groß ist die Sendung.
Alles sind Wege
zu der Vollendung!
Sommerabend
Sommersüß
duftende Linde
flüstert dies
in träumende Winde:
Abend voll Glocken
wehet wie Hauch
um seidige Locken –
heimlich im Strauch.
Wir saßen beide
in schwankenden Dolden,
der Sonne Geschmeide
umkoste uns golden …
Concerti grossi
Da wehte um ein hölzernes Gestühl
vertraut, unsäglich fein und kühl,
Getön der dunklen Bratsche, Geigen
vereinten sich zum stillen Reigen.
Die Seelen sangen in den Sonnentag – – –
– – –
Die Sonnenblumen wachten auf und träumten
in diese Melodie sich wiegend ein.
Geheimnisvolle Flüsterworte säumten
Euch Spielende in einen hohen Schein,
und lauter Jubel war in Euren Augen.
– – –
Ist es nicht ein fernes, frohes Rufen,
das voll Seligkeit zu uns herüber dringt?
Wir lauschen trunken auf des Tempels Stufen,
aus dem uns Euer Seelenlied umklingt –
still aber saßen wir …
Herbstspruch
Der Herbst ist Frucht
aus langer Sonne.
In seinem Sterben
liegt das Leben.
Die Spatzen
kratzen,
was man ißt,
aus dem Mist.
Die Menschheit fischt
auch im Trüben – –
so ist nischt
mehr nach geblieben!
Winter
Jetzt hat der rote Briefkasten
eine weiße Mütze auf,
schief und verwegen.
Mancher hat bei Glatteis
plötzlich gelegen,
der sonst so standhaft war.
Aber der Schnee hat leis
und wunderbar
geblinkt auf den Tannenbäumen.
Was wohl jetzt die Schmetterlinge träumen?
Die Ärmste
Es war eine Eule,
die flog im Traum
mit schröcklichem Geheule
gegen einen Baum.
Jetzt sieht man die Eule
nur noch kaum –
vor lauter Beule!
Frühling
Abendlich tönet Gesang ferner Glocken,
lächelnd versinkt voll Frühling ein Tag.
Über das eigene Lied scheu erschrocken,
verstummte die Amsel mitten im Schlag.
Und in dem Regen, der nun begann,
fing leis’ die Erde zu atmen an.
Stille Stunde
Wenn irgendwo
ein Werk, ein Wort
an unserer Seele Tiefen rührt –
laßt uns zusammen schweigen.
Wenn irgendwo
ein Leid geschieht,
und dünkt es dich zu schwer –
laßt uns
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