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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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zwölf. Und neben seiner Frau sitzen. Brauchte er noch Alleen? Er lachte die armen armseligen Bäume geringschätzig an, gab ihnen noch einen schnellen schiefen Blick und machte kehrt. Laß sie lügen, solange sie wollen. Ich fahr nach Hause.
    Als er bei den beiden Straßenarbeitern vorüberkam, machten die Mittag. Es roch intensiv nach Teer, Margarine und süßem Kaffee. Aber in der Hauptsache doch nach Teer. Die beiden Teergießer hatten ihn die ganze Zeit grinsend beobachtet. Der hatte einen schönen Knacks von drüben mitbekommen, das war ihnen sofort klar. Sie sahen ihm erwartungsvoll entgegen, als müsse er noch etwas bieten. Sie erwarteten noch etwas von ihm. Als der Kurzgeschorene sich so auffordernd angesehen fühlte, grüßte er sie und sagte vor lauter neuer Liebe zum neuen Leben viermal hintereinander: Mahlzeit! Mahlzeit! Mahlzeit! Mahlzeit!
    Mit der neugierigen Bereitwilligkeit, die man den Verrückten entgegenbringt, kauten die zwei Teermänner einen freundlichen unverständlichen Gruß zurück. Dabei konnten sie sich das Lachen kaum noch verbeißen. Sie schluckten und grinsten. Um ein Haar hätte der eine von ihnen losgeprustet. Aber ihm fiel noch rechtzeitig das kostbare Stück Mettwurst auf seiner Margarine ein. Da ließ er es.
    Als der Kurzgeschorene weitergehen wollte, stieg ihm plötzlich der Teergeruch (dieses süße unvergeßliche Parfüm von Kindheit, Großstadt, schmutzigen Fingern und Straße) aufdringlich und gewaltig in die Nase. Und da hatte er einen großen Einfall. Der überwältigte ihn so unversehens, daß er stehenblieb und tief Luft holte. Teerluft. Berauschendes Parfüm voller Erinnerung! Heilige himmlische Teerluft!
    Er dachte an seine beiden Jungens zu Hause und er dachte an den Teer. Und er dachte, was für herrliche Dinge man aus halbtrockenem Teer machen konnte. Tiere, Männer, Kugeln. Kugeln, in der Hauptsache natürlich Kugeln. Sie hatten damals fast immer nur Kugeln aus Teer gemacht, den sie, wenn die Arbeiter Feierabend gemacht hatten, aus den Rillen der neugepflasterten Straße pulten. Er dachte, wie schön es wäre und wie überraschend, wenn er seinen beiden Kindern so ein Geschenk mit nach Hause bringen würde. Und er nahm sich einen verwegenen ungeahnten Mut. Er tastete sich auf die beiden fassungslosen Teermänner zu und bat leise und ganz hilflos lächelnd um die Genehmigung, sich ein bißchen, nur ein ganz klein bißchen kaltgewordenen Teer mitnehmen zu dürfen. Er lächelte unsicher, aber doch sehr mutig, wenngleich er bis in den letzten Nerv bereit war, davonzulaufen. Sprechen konnten sie nicht, sonst hätten sie ohne weiteres ihren süßen Kaffee in großem Bogen ausspucken müssen. So nickten die Teermänner wortlos und großzügig und ihre Gesichter waren vor lauterGrinsen und Erstaunen ganz ernst und kindisch geworden. Blöde und baff gafften sie hinter dem gänzlich Verrückten her, der, in der linken Hand seinen Persilkarton mit der philosophischen Aufschrift, in der rechten den Teer emsig knetend, glückselig, flatterig über die Fahrbahn schwebte.
    Und der Kurzgeschorene vergaß die Welt der Gitter, der Schlüsselbunde und der Kniebeugen und der erlogenen verlogenen Alleen. Er rollte auf einer riesenhaften Teerkugel nach Hause. Den Kartoffelpuffern, seiner Frau entgegen. Rollte, rannte, raste! Und vergaß die Welt mit den bösen sieben Jahren. Und juchte einmal klein und leise wie betrunken vor sich hin. Vor wonnigem Weltgefühl!
    Da schrien plötzlich die Bremsen eines Wäschereiautos hell und häßlich auf. Acht riesige Gummiräder wimmerten und kreischten rutschend über das Pflaster. Und eine Frau schrie und ein Kind. Und von allen Seiten kamen Menschen auf das Auto zugelaufen.
    Da! Jetzt hats ihn erwischt! rief der eine Teermann. Na, so ein Dussel, so ein Pech zu haben, brummte der andere, goß sich den Rest seines süßen Kaffees in den Hals und schob sich hinter seinem Kollegen her in Richtung des Wäscheautos.
    Das Auto stand quer über die Straße. Die Straßenbahn hielt. Fünf, sechs Autos hielten, ein Pferdegespann, einige zwanzig der unvermeidlichen Radfahrer. Leute, die vorher so unbedingt hastig und eilig und beschäftigt taten, hatten auf einmal entsetzlich viel Zeit, sich einen breitgedrückten Mann mit einem breitgedrückten Persilkarton ausgiebig anzusehen. Das kleine breitgedrückte Stückchen Teer, die eben noch so prächtige Kugel, sah keiner. Damit hätte auch keiner etwas anfangen können. Dafür sahen aber alle das Blut, das der

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