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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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zusammen schweigen

    Wenn irgendwo
    ein Lachen ist
    und Jubel deine Brust will sprengen –
    laßt uns zusammen schweigen

    Wenn irgendwo
    der Tod den Freund
    aus unserem Kreise holt –
    laßt uns zusammen schweigen.

    Wenn irgendwo
    die Welt, das All
    mit Schauer uns erfüllt –
    laßt uns zusammen schweigen.

Zuspruch
    Tritt heraus aus deinem Leide
    und bekenne dich zur Freude –
    Tritt heraus aus deinem Kleide
    und wirf von dir Tand und Seide –
    Trage lächelnd deine Schmerzen,
    Sei ein Mensch mit ganzem Herzen!

Das ernste Lachen
    Wir müssen den Becher trinken,
    den das Leben uns reicht –
    auch wenn er voll Leid ist.

    Wir müssen den Weg gehen,
    den das Leben uns weist –
    wenn er auch weit ist.

    Wir wollen das Schöne bewahren
    und über das Heilige wachen –

    Wir wollen in den dunklen Jahren
    durch unser Weinen lachen!

Ein Tausendfüßler, nicht mehr jung an Jahren,
    war in einer Kneipe gehörig versackt.
    So kam er mitten auf der Straße aus dem Takt
    und wurde überfahren.
    Er hat sich etliche Beine gebrochen,
    211 an der Zahl.
    Jetzt liegt er im Spital.
    Und die Schwester sortiert schon seit Wochen –
    Knochen.

Der Kuckuck
    Der Kuckuck schreit die ganze Nacht –
    Herrgott, laß ihn verrecken!
    Ich habe unter meinen Decken
    kein Auge zugemacht.

    Der Kuckucksschrei ist grün
    wie eine leere Flasche Gin.
    Nur weil ich nicht besoffen bin,
    ist er heut nacht so kühn.

    Nein, Herr, laß ab mit Strafen –
    ich sehe schon den Sinn:
    Wenn ich besoffen bin,
    kann er ja auch nicht schlafen!

Frösche
    Frösche haben alle Basedow
    und sie wirken kolossal seriös.
    Fliegen sind gewöhnlich dumm und froh –
    doch vor Fröschen werden sie nervös.

    Ihrerseits – der Storch ist ihnen peinlich
    und sie fangen lieber an zu wandern,
    denn die Götter sind verdammt nicht kleinlich:
    Willst du leben: Friß den andern!

    Wenn sie singen, blasen sie cholerisch
    ihre glattrasierte Hülle auf –
    und ihr Baßgelächter steigt homerisch
    tollhauslaut aus Teich und Tümpel auf.

Schnecken
    Schnecken schleichen meistens viel zu
    langsam ihrem Schneckenziel zu,
    denn sie schlecken an den Hecken,
    neckend spielen sie Verstecken.

    Unheil ist für sie abstrakt –
    Und sie machen sich nichts draus.
    Bei Gefahr ziehn sie, was nackt,
    einfach in das Schneckenhaus.

    Süßer Schneckentemposchlendrian –
    dennoch ist ihr Ende oft profan:
    Meistens werden sie von sehr konkreten
    Knabenstiefeln totgetreten!

Den Dichtern
    Morgenrot! und: Hahnenschrei!
    Die Nacht ist vorbei!
    Brecht auf, ihr Lumpen,
    fort mit den Humpen,
    ihr Säufergesichter!
    Morgenlichter
    dämmern ringsum.
    Die Nacht ist um!

    Fort mit dem Becher!
    Ans Werk jetzt, ihr Zecher,
    zur Tat! Nun zeigt,
    was Pan euch für Lieder gegeigt,
    was die Nacht euch gelehrt:
    Leierkasten oder Orgelkonzert!

    Hahnenschrei! und: Morgenrot!
    Die Nacht ist tot!

Gedicht um Mitternacht
    Der Vagabund phantasiert:
    Ruhe ist Verhängnis.
    Die Weisheit philosophiert:
    Jeder ist sein eignes Gefängnis.

    Wozu in die Bücher schauen,
    wenn du sie so schnell vergißt –
    wenn du doch dem Schritt der Frauen
    rettungslos verfallen bist!

    Gib dich doch den wunderbaren
    Augen eines Mädchens hin –
    pack das Leben bei den Haaren,
    dann erfüllst du seinen Sinn!

An die Natur
    Wo du den Sturm fühlst und die Erde riechst,
    wo du das Meer hörst und die Sterne siehst,
    sei losgelöst von jeder Zeit,
    gibt deinem Geist kein irdisch Ziel,
    von Bildern, Worten sei befreit:
    tu deine Seele auf und sei Gefühl.

Hamburg
    Zwischen grünen Kirchturmsmützen
    wie mit feingemalter Kunst,
    ragen Dächer, Giebelspitzen
    in den blauen Hafendunst.

    Auf den schmalen, alten Fleeten
    ziehen schwerbeladen Schuten –
    manchmal hörst du wie Trompeten
    fern die großen Dampfer tuten.

    Hör des Hafens Orgelbrausen,
    Möwenschreien hin und her!
    Wenn die steifen Winde sausen,
    riechst du schon das weite Meer.

    In den blauen Hafendunst
    ragen Dächer, Giebelspitzen
    wie mit feingemalter Kunst
    zwischen grünen Kirchturmsmützen.

Don Juan
    Sieh, mein Auge ist noch dunkelfarben
    vom Liebesleid der letzten Nacht,
    von den Träumen, die am Morgen starben,
    darin leise die Geliebte lacht.

    Immer sind es doch die gleichen Stunden,
    wo die Herzen sich noch scheu ertasten –
    wenn wir dann erkennend uns gefunden,
    bleibt mir nur ein stummes Weiterhasten!

    Zugedeckt mit einem weichen Tuche
    möcht ich meine tiefsten Schmerzen haben –
    wo ich Gottes weite Seele suche,
    sind wir Menschen, die im Spiel

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