Das Gesamtwerk
sich gaben.
Und die Lippen formen still ein Flehen
um ein endlich Auferstehen.
Das Karussell
Dogmen stürzen, Werte bleiben,
Narren nennt man morgen Weise –
wildes, buntes Jahrmarktstreiben
tanzt um uns in tollem Kreise.
Reich auch mir die Larve, Leben!
Reih mich ein in deinen Reigen –
tanze, daß die Pulse beben:
Nach uns kommt ein langes Schweigen.
Sieh den tollen Jahrmarktstrubel!
Hör sie laut in Flitterkronen
kleine dumme Lügen feiern.
Kauf dir Glück für einen Rubel,
pfeife auf die Millionen:
Laß die Groschenorgel leiern!
Hamburg 1943
Der Mond hängt als kalte giftgrüne Sichel
über den hohläugig glotzenden Fenstern –
es knistert und wispert rings um den Michel
wie von tausend verirrten Gespenstern.
Da ragt eine Wand wie ein Schrei
in das Grauen der einsamen Nacht.
Gestern hat hier noch ein Mädchen gelacht –
und der Wind weht träumend vom Kai.
Und der Wind weht vom Meer –
und er weht über Freuden und Schmerzen,
er riecht nach Tauen, Möwen und Teer –
und er singt von Hamburgs unsterblichem Herzen!
Jede Minute
Der Krieg bringt Gedanken,
die sonst verschüttet waren.
Er tötet die kranken
Und krönt die unscheinbaren
Dinge und Geschicke.
Er beschattet die Jahre
Und schenkt Augenblicke,
die wie wunderbare
Lampen in die Stunden scheinen,
in dunkle und gute –
und dann denkst du in Lachen und Weinen:
Wie köstlich ist jede Minute!
Die Stadt
Thema in drei Teilen
I
Wenn sie auch übermütig war,
(weil sonst das Leiden unter allen Dächern
das Lachen grau ersticken würde),
gehört ihr doch Verehrung –
Soviel wie auch dem Wald,
den Bergen und den Blumen:
Wollen wir sie denn geringer lieben,
weil sie von unsrer Hand ist?
Der Regen und der Wind,
die um Laternenpfähle spuken
und auf dem Pflaster blinkern,
sind längst mit ihr intim.
II
Dann kam der Krieg:
Er spielte grausam mit den Steinen –
die langvertrauten Züge,
die Häuser, Kurven, Ecken
brach er gewaltsam.
Doch gieriger als alle Flammen,
die durch die Straßen stoben,
umfing jetzt unser Herz
das Kleinod: Unsere Stadt!
Und wenn wir drüber achtlos waren,
nun sehn wir tiefer und behutsam
in dieses leidzerrissene Gesicht.
III
Nun ist die Zeit ihr Arzt –
doch wir sind ungeduldig
und planen ihren großen Aufstieg,
denn die Genesene soll stärker
als die Versunkene sein.
Und aus dem Rhythmus neuer Tage
steigt sie verjüngt empor –
im Fackelschein der Bogenlampen,
die dann die Melodie des Lebens
durch dunkle Nächte schleudern,
stehn wir beglückt und lauschen
auf ihre ersten Atemzüge!
Norddeutsche Landschaft
Stangenbeinig, stolz und stur
stelzt stocksteif ein Storch
feldherrngleich auf freier Flur.
Freche Frösche höhnen: Horch!
Dunkel ducken dicht am Deich
sich die strohgedeckten Dächer.
Glockenblumen blühen weich
mit blauem Blütenbecher.
Kühe kauen taktvoll träge.
Ringsherum prahlen pralle Fladen.
Käfer schielen schnell und schräge
nach der Kuhmagd nackten Waden.
Moabit
Die Wanzen lassen uns nicht schlafen.
Man denkt die ganze Nacht an Frauen,
die wir wohl irgendwann mal trafen.
Von den smaragdäugigen und blauen,
den zärtlichen und schlanken haben wir gequasselt,
geprahlt, geseufzt.
Im ersten Morgengrauen
war eine Ente laut vorbeigerasselt
zum nächsten Binnenmeer:
Mensch, wenn man so’ne Ente wär!
Ich bin der Nebel
Ich bin der Nebel, der durchs Hafenviertel strömert
und der sich von den Mädchenbeinen,
die spät nach Hause tippeln, gern zerreißen läßt.
Ich bin der Nebel, der auf alten Fleeten döst,
der unter grauen Brücken graue Sorgen
mit grauer Milde zärtlich zudeckt.
Ich bin der Nebel, der wie ein Mirakel
aus Märchenbüchern auf den Dächern geistert,
ein Spuk auf Kais und Takelagen.
Ich bin der Nebel, der um die Laternen tanzt
und den die Frühaufsteher blaß und übernächtig
im ersten Morgenlicht noch auf der Straße finden.
Das Requiem
Der Seewind singt sein Lied am Pier.
Die Stunde hinkt. Es schlägt halb vier.
Der Abschied klinkt für uns die Tür.
Mein Spiegel blinkt noch hell von dir …
Die Kathedrale von Smolensk
I.
Grün und gold gemalte Zwiebeln
hängen bunt wie eine Laune
aus dem Orient auf weißen Giebeln
und ein düsteres Geraune
schlängelt sich aus engen, schiefen
Stuben dunkel um die Kathedrale.
Ach, mit einem Male,
während alle Wolken schliefen,
schmeichelt dann der Sonnenschein
dem grotesken Land –
und das Gold der Kuppeln willigt
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