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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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sich gaben.

    Und die Lippen formen still ein Flehen
    um ein endlich Auferstehen.

Das Karussell
    Dogmen stürzen, Werte bleiben,
    Narren nennt man morgen Weise –
    wildes, buntes Jahrmarktstreiben
    tanzt um uns in tollem Kreise.

    Reich auch mir die Larve, Leben!
    Reih mich ein in deinen Reigen –
    tanze, daß die Pulse beben:
    Nach uns kommt ein langes Schweigen.

    Sieh den tollen Jahrmarktstrubel!
    Hör sie laut in Flitterkronen
    kleine dumme Lügen feiern.

    Kauf dir Glück für einen Rubel,
    pfeife auf die Millionen:
    Laß die Groschenorgel leiern!

Hamburg 1943
    Der Mond hängt als kalte giftgrüne Sichel
    über den hohläugig glotzenden Fenstern –
    es knistert und wispert rings um den Michel
    wie von tausend verirrten Gespenstern.

    Da ragt eine Wand wie ein Schrei
    in das Grauen der einsamen Nacht.
    Gestern hat hier noch ein Mädchen gelacht –
    und der Wind weht träumend vom Kai.

    Und der Wind weht vom Meer –
    und er weht über Freuden und Schmerzen,
    er riecht nach Tauen, Möwen und Teer –
    und er singt von Hamburgs unsterblichem Herzen!

Jede Minute
    Der Krieg bringt Gedanken,
    die sonst verschüttet waren.
    Er tötet die kranken
    Und krönt die unscheinbaren
    Dinge und Geschicke.
    Er beschattet die Jahre
    Und schenkt Augenblicke,
    die wie wunderbare
    Lampen in die Stunden scheinen,
    in dunkle und gute –
    und dann denkst du in Lachen und Weinen:
    Wie köstlich ist jede Minute!

Die Stadt
    Thema in drei Teilen
    I

    Wenn sie auch übermütig war,
    (weil sonst das Leiden unter allen Dächern
    das Lachen grau ersticken würde),
    gehört ihr doch Verehrung –
    Soviel wie auch dem Wald,
    den Bergen und den Blumen:
    Wollen wir sie denn geringer lieben,
    weil sie von unsrer Hand ist?
    Der Regen und der Wind,
    die um Laternenpfähle spuken
    und auf dem Pflaster blinkern,
    sind längst mit ihr intim.

    II

    Dann kam der Krieg:
    Er spielte grausam mit den Steinen –
    die langvertrauten Züge,
    die Häuser, Kurven, Ecken
    brach er gewaltsam.
    Doch gieriger als alle Flammen,
    die durch die Straßen stoben,
    umfing jetzt unser Herz
    das Kleinod: Unsere Stadt!
    Und wenn wir drüber achtlos waren,
    nun sehn wir tiefer und behutsam
    in dieses leidzerrissene Gesicht.

    III

    Nun ist die Zeit ihr Arzt –
    doch wir sind ungeduldig
    und planen ihren großen Aufstieg,
    denn die Genesene soll stärker
    als die Versunkene sein.
    Und aus dem Rhythmus neuer Tage
    steigt sie verjüngt empor –
    im Fackelschein der Bogenlampen,
    die dann die Melodie des Lebens
    durch dunkle Nächte schleudern,
    stehn wir beglückt und lauschen
    auf ihre ersten Atemzüge!

Norddeutsche Landschaft
    Stangenbeinig, stolz und stur
    stelzt stocksteif ein Storch
    feldherrngleich auf freier Flur.
    Freche Frösche höhnen: Horch!

    Dunkel ducken dicht am Deich
    sich die strohgedeckten Dächer.
    Glockenblumen blühen weich
    mit blauem Blütenbecher.

    Kühe kauen taktvoll träge.
    Ringsherum prahlen pralle Fladen.
    Käfer schielen schnell und schräge
    nach der Kuhmagd nackten Waden.

Moabit
    Die Wanzen lassen uns nicht schlafen.
    Man denkt die ganze Nacht an Frauen,
    die wir wohl irgendwann mal trafen.
    Von den smaragdäugigen und blauen,
    den zärtlichen und schlanken haben wir gequasselt,
    geprahlt, geseufzt.

    Im ersten Morgengrauen
    war eine Ente laut vorbeigerasselt
    zum nächsten Binnenmeer:
    Mensch, wenn man so’ne Ente wär!

Ich bin der Nebel
    Ich bin der Nebel, der durchs Hafenviertel strömert
    und der sich von den Mädchenbeinen,
    die spät nach Hause tippeln, gern zerreißen läßt.

    Ich bin der Nebel, der auf alten Fleeten döst,
    der unter grauen Brücken graue Sorgen
    mit grauer Milde zärtlich zudeckt.

    Ich bin der Nebel, der wie ein Mirakel
    aus Märchenbüchern auf den Dächern geistert,
    ein Spuk auf Kais und Takelagen.

    Ich bin der Nebel, der um die Laternen tanzt
    und den die Frühaufsteher blaß und übernächtig
    im ersten Morgenlicht noch auf der Straße finden.

Das Requiem
    Der Seewind singt sein Lied am Pier.
    Die Stunde hinkt. Es schlägt halb vier.
    Der Abschied klinkt für uns die Tür.
    Mein Spiegel blinkt noch hell von dir …

Die Kathedrale von Smolensk
    I.

    Grün und gold gemalte Zwiebeln
    hängen bunt wie eine Laune
    aus dem Orient auf weißen Giebeln
    und ein düsteres Geraune

    schlängelt sich aus engen, schiefen
    Stuben dunkel um die Kathedrale.
    Ach, mit einem Male,
    während alle Wolken schliefen,

    schmeichelt dann der Sonnenschein
    dem grotesken Land –
    und das Gold der Kuppeln willigt

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