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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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erstaunlich, wenn man weiß, daß Helmuth und Otto Gmelin denkende Menschen und Psychologen geblieben sind.
    Das hätte auf der Bühne seine Gefahr, wenn nicht die große Gabe des Gefühls und des Temperamentes hinzukäme, wie es bei Helmuth Gmelin der Fall ist. Wir brauchen seine Rollen nicht aufzuzählen, wir haben sie noch alle in der Erinnerung, so wie sie die Braunschweiger noch immer im Gedächtnis haben, wo er lange als Regisseur und Schauspieler tätig war.
    Helmuth Gmelin ist ein Künstler, ein Schauspieler der Vornehmheit, der inneren und der äußeren. Sein Denken ist kein Prunk, sein Gefühl keine laute Sentimentalität und sein Temperament kein billiger Lärm – es ist alles verhalten, verinnerlicht und leuchtet nur sparsam aus den kargen Gesten.
    Ein hauptsächlicher Wesenszug des Künstlers, alles Schöpferische überhaupt, ist die Sehnsucht, sich zu vertiefen in alle anderen Gebiete der Kunst – kann man sich eine glücklichere Bereicherung und Ergänzung zum Schauspieler denken?
    Stundenlang redet er über einen Farbton bei Botticelli, eine Gebärde der Hände von Grünewald – ebenso lange wirft er architektonische Stilfragen und Probleme auf, wobei die mathematische Anlage der Väter durchblickt. Zeugt es nicht von einer ungeheuren Intensität und Vitalität des Geistes, wenn ein Fünfzigjähriger sich hinsetzt und Griechisch lernt, und zwar so, daß er bald darauf aus sämtlichen griechischen Tragikern sprechen kann? Und endlich können wir ihn treffen, wenn er oft einen ganzen Abend bis spät in die Nacht am Klavier sitzt und sich über Bach, Tschaikowsky und Chopin ganz in ein inneres Reich vertieft.
    So können wir ihm nichts Besseres zu seinem 50. Geburtstag wünschen, als weiterhin auch diese große Kraft, ganz der Kunst, diesem höchsten Ziele, zu leben. Sapphos Vers an die Musen möge immer über seinem Leben stehen: «Doch für euch, ihr Schönen, wird mein Gedächtnis sich verwandeln.»

    Helmuth Gmelin

    Wie es die hohe Stirn umbebt;
    das letzte, große Maskenspiel,
    das lautlos in der Szene schwebt,
    umklungen leise vom Gefühl,
    dem sich Komödiengeist verwebt
    zum feingetönten Kammerspiel.

«Stalingrad»
    Das ist kein gutes Buch. Das ist kein Kunstwerk und auch keine Dichtung. Das ist vielleicht nicht einmal Literatur. Aber das ist ein Dokument und ein Denkmal. Das ist Rechnung und Quittung zugleich. Und für uns alle. Und deswegen ist es ein notwendiges Buch. Es ist die nüchterne nackte Fieberkurve einer überlebten korrupten Kaste, eines blinden Volkes. Fieberkurve aus sechs Jahren des 20. Jahrhunderts. Fieberkurve eines Massensterbens. Fieberkurve der Agonie von ein paar hunderttausend zu Lemuren und todwunden Würmern verkommenen menschlichen Lebewesen.
    Das Buch heißt: «Stalingrad» . (Aufbau-Verlag, Berlin).
    Der Verfasser, Theodor Plievier, ist ein gewissenhafter, gnadenloser, unerbittlicher Sammler. Er sammelt die Mosaiksteinchen dieses grauenhaftesten apokalyptischen Gemäldes der menschlichen Geschichte. Aber er ordnet die Mosaiksteine nicht zu einem harmonischen Ganzen. Er kann es nicht und er darf es nicht. Aus diesem Chaos, aus diesem Inferno, diesem Spukspektakel eine Harmonie zu machen, würde Frevel an der Wahrheit und an der Wirkung sein. Hier muß alles bleiben wie es war: nackt, wirr, sinnlos, formlos, wahrhaftig. Plievier schüttet seine Mosaiksteine in einem grandiosen Durcheinander von Szenen, Menschenuntergangsszenen, vor uns hin. Und die Steine heißen Hunger, Schrei, Schmerz, Tod. Heißen Eissturm, Eiter, Einschlag. Heißen Heldentum und Kannibalismus, Elend und Qual, Lüge, Selbstmord und Gehorsam. Und sie heißen Blut und Kot und Schnee, Preußens Gloria und Viehtreiben. Und alle zusammen heißen: Hitler! Heißen Stalingrad! Heißen Krieg!
    Es ist ein unerfreuliches Buch. In der äußeren Aufmachung (und das ist schon eine Quittung) und im Inhalt.Aber es ist ein notwendiges Buch. Jeder von uns ist durch Stalingrad gegangen, durch ein großes oder ein kleines. Und so ein Buch ist Rechnung und Quittung für uns alle.
    Rechnungen und Quittungen sind unerfreulich. Aber sie sind notwendig. Und deshalb ist das Buch von Stalingrad doch ein gutes Buch.

Tucholsky und Kästner
    Wir können sie gut gebrauchen, die Tucholskys, die Kästners und Rowohlts. Möglichst gleich ein paar hundert von ihnen. Aber was haben wir gemacht? Tucholsky wurde vertrieben, Kästner durfte nicht schreiben und Rowohlt nicht verlegen. Das war dumm von uns. Wir hätten sie jeden Tag

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