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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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die Pulsadern aufschneiden. Das gönnten sie uns nicht. So einen harmlosen heimlichen Pulsadertod hatten wir nicht verdient. Dafür hatte man ein Stück blankes Blech an unser Schränkchen genagelt. Da konnte man sich zur Not drin sehen. Erkennen nicht. Nur gerade eben sehen. Und das war ganz gut, daß man sich nicht erkannte. Man hätte sich doch nicht erkannt. Das Stück blankes Blech war an unser Schränkchen genagelt. Denn wir hatten ein Schränkchen. Da waren unsere vier Eßnäpfe drin. Die aus Aluminium. Verbeult. Bekritzelt. An Hofhunde erinnernd. Wie gemein, stand auf einem, und: Morgen noch siebzehn Monate. Auf dem anderen war ein Kalender mit vielen kleinen Kreuzen. Und Elisabeth stand da drauf. Sieben- oder achtmal. In meinem Eßnapf stand nur: Immerzu Suppe. Das war alles. Der hatte recht gehabt. Und in Paulines Napf hatte einer zwei Hängebrüste geritzt. Immer wenn Pauline seine Suppe auf hatte, grinsten ihn die riesigen Hängebrüste an. Wie die Augen des Schicksals. Arme Pauline. Er war doch gar nicht für sowas. Aber er hatte doch Pudding gekocht. Das war nun die Strafe. Vielleicht magerte er deswegen so ab. Vielleicht ekelte er sich so vor den Brüsten.
    Gestern abend hatte mir Mozart sein blaues Hemd hingeworfen. Ich brauch es jetzt nicht mehr, sagte er. Er hatte heute Verhandlung. Heute morgen hatten sie ihn geholt. Ich soll ein Radio geklaut haben, sagte Mozart. Und jetzt stand ich mit seinem blauen Hemd vor unserm Blechspiegel undspiegelte mich. Pauline sah zu. Ich freute mich über das Hemd. Denn meins war bei der Entlausung aus den Nähten gegangen. Jetzt hatte ich doch wieder ein Hemd. Und das Hellblau stand mir ganz gut. Pauline sagte das jedenfalls. Und ich fand das auch. Das Blau stand mir gut. Nur den Kragen kriegte ich nicht zu. Mozart war ein kleines zartes Kerlchen. Er hatte einen Hals wie ein Backfisch. Meiner war dicker. (Das mit dem Backfisch sagte Pauline immer.) Laß es offen, sagte Liebig vom Fenster her. Dann siehst du aus wie ein Sozialist.
    Aber dann sieht man die Haare auf der Brust so, sagte Pauline. Das reizt, antwortete Liebig und starrte wieder nach der Lautsprecherstimme.
    Mozart war wirklich unwahrscheinlich klein und zart. Er hatte einen Hals wie ein Backfisch. (Sagte Pauline immer.)
    Dann kam unsere ungarische Suppe. Das war heißes Wasser mit Paprikaschoten. Das brannte im Bauch. Damit man sich satt fühlte. Und das war viel wert. Aber man mußte hundertmal auf den Kübel.
    Beim Essen kam Mozart von der Verhandlung zurück. Er hatte Verhandlung gehabt. Vier Stunden. Er war etwas verlegen. Truttner schloß die Zellentür auf und ließ ihn rein. Aber er nahm ihm die Handschellen nicht ab. Wir wunderten uns. Na, was hast du gekriegt? fragten wir alle drei auf einmal und legten vor Spannung unsere Löffel wieder hin auf den Tisch. Halsschmerzen, sagte Mozart und war etwas verlegen dabei. Wir verstanden ihn nicht.
    Der Unterfeldwebel hatte seine Pistolentasche offen. Er stand wie ein Riese in der Zellentür. Dabei war er höchstens einen Meter und siebzig. Los, packen Sie Ihre Sachen, Mozart. Mozart packte seine Sachen. Ein Stück Seife. Seinen Kamm. Das halbierte Handtuch. Zwei Briefe. Mehr hatte Mozart nicht. Er war sehr verlegen.
    Erzählen Sie Ihren Kollegen mal, was Sie alles auf Ihrem Konto haben. Die interessiert das. Mozart erschrak. Truttner sah sehr gemein aus, als er das sagte. So gemein sah er zu Hause sicher nicht aus. Mozart war verlegen.
    Ich habe Feldwebeluniform angehabt – fing Mozart sehr leise an.
    Obgleich – half ihm Truttner.
    Obgleich ich nur Oberschütze bin.
    Weiter, Mozart, was noch.
    Ich hab das Ritterkreuz getragen –
    Obgleich, Mozart, obgleich –
    Obgleich ich nur die Ostmedaille tragen darf.
    Weiter, Mozart, immer munter.
    Ich habe meinen Urlaub überschritten –
    Nur ein paar Tage, nicht, Mozart, doch nur ein paar Tage?
    Nein, Herr Unterfeldwebel.
    Sondern, Mozart, sondern?
    Neun Monate, Herr Unterfeldwebel.
    Und wie heißt das, Mozart? Urlaub überschritten?
    Nein.
    Na wie denn?
    Fahnenflucht, Herr Unterfeldwebel.
    Richtig, Mozart, ganz richtig. Na, und was haben Sie sonst noch zu bieten?
    Ich habe die Radios weggenommen.
    Geklaut, Mozart.
    Geklaut, Herr Unterfeldwebel.
    Wieviel denn, mein kleiner Mozart, wieviel denn? Erzählen Sie doch. Ihre Kollegen interessiert das.
    Sieben.
    Und woher, Mozart?
    Eingebrochen.
    Siebenmal, Mozart?
    Nein, Herr Unterfeldwebel. Elf.
    Was elf, Mozart? Drücken Sie sich ruhig deutlich aus.
    Elfmal

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