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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
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Menschen. Da leben sie doch von.
    Wer sagt das?
    Unser Lehrer.
    Und du paßt nun auf die Ratten auf? fragte der Mann.
    Auf die doch nicht! Und dann sagte er ganz leise: Mein Bruder, der liegt nämlich da unter. Da. Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammengesackten Mauern. Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Er muß hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich.
    Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt, daß die Ratten nachts schlafen?
    Nein, flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, das hat er nicht gesagt.
    Na, sagte der Mann, das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon.
    Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt.
    Lauter kleine Betten sind das, dachte er, alles kleine Betten. Da sagte der Mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen und wenn es dunkel wird, hole ich dichab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines, oder was meinst du?
    Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue. Ich weiß nicht, sagte er leise und sah auf die krummen Beine, wenn sie wirklich nachts schlafen.
    Der Mann stieg über die Mauerreste weg auf die Straße. Natürlich, sagte er von da, euer Lehrer soll einpacken, wenn er das nicht mal weiß.
    Da stand Jürgen auf und fragte: Wenn ich eins kriegen kann? Ein weißes vielleicht?
    Ich will mal versuchen, rief der Mann schon im Weggehen, aber du mußt hier solange warten. Ich gehe dann mit dir nach Hause, weißt du? Ich muß deinem Vater doch sagen, wie so ein Kaninchenstall gebaut wird. Denn das müßt ihr ja wissen.
    Ja, rief Jürgen, ich warte. Ich muß ja noch aufpassen, bis es dunkel wird. Ich warte bestimmt. Und er rief: Wir haben auch noch Bretter zu Hause. Kistenbretter, rief er.
    Aber das hörte der Mann schon nicht mehr. Er lief mit seinen krummen Beinen auf die Sonne zu. Die war schon rot vom Abend und Jürgen konnte sehen, wie sie durch die Beine hindurchschien, so krumm waren sie. Und der Korb schwenkte aufgeregt hin und her. Kaninchenfutter war da drin. Grünes Kaninchenfutter, das war etwas grau vom Schutt.

Er hatte auch viel Ärger mit den Kriegen
    Damals hatte man seinen Vater. Wenn es dunkel wurde. Wenn man ihn auch schon nicht mehr sah in der violetten Dämmerung. Man hörte ihn doch. Wenn er hustete. Und wenn er durch die Wohnung ging und dabei hustete. Und man roch seinen Tabak. Und das genügte dann schon. Dann hielt man die violetten Abende aus.
    Nachher hatte man dann schon die Mädchen, die beinah noch keine Brüste hatten. Aber es war doch schon irgendwie gut, sie in den violetten Dämmerungen bei sich zu haben. Am Bootssteg. Und unterm Balkon abends. Die hatten dann auch ganz heiße Hände. Das genügte dann schon. Dann hielt man die violetten Dunkelheiten aus.
    Und in den russischen Häusern hatte man dann mal ein altes Frauengesicht, wenn die anderen schnarchten und wenn einen das violette Gebrüll der Kanonen noch wachhielt. So ein altes Frauengesicht, gelbledern wie das Tuch, das da rum war, das genügte dann schon, wenn es aus der andern Zimmerecke über die Schnarchenden rüberglomm wie ein Öllicht. Nur das Metall der schlanken Gewehre glummerte wie Haut von Reptilien: stumm und gefährlich und blank. Und die machten die Dämmerungen in den russischen Häusern nicht gut. Sie machten das weiche Abendviolett so eisig mit ihrem Stahl. Aber so ein ledernes Altfrauengesicht, kanonendurchzittert, das glimmt einem das Leben lang aus allen violetten Dunkelheiten entgegen. Blutübersprenkelt. Von Mündungsfeuer grell aufgerissen. Von Tränennächten dunkel. Ein Frauengesicht. Hinter Vorstadtgardinen sieht man es manchmal sehr blaß. In den Städten soviel. In den Abenden.
    Diese Abende sind violett in den Straßen. In den engeren Straßen der Stadt jedenfalls. In unserer Stadt jedenfalls.Da, wo die kleinen Leute wohnen und die Straßen ganz eng sind. Die mit den großartigen Sehnsüchten. Die Büroangestellten mit den violetten Tintenflecken am Zeigefinger und am Ärmel. Und mit Gelbsucht manchmal. Die Tapezierer mit dem Ölfarbengeruch in der Haut. Und die Sielarbeiter, die noch

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