Das Geschenk
sollte, stand auf einem anderen Rezept; falls es nicht besser war, sie gleich als hoffnungslose Fälle auszusondern und in Klinikenoder gleich in geschlossene Anstalten zu überweisen, den ganzen wild zusammengewürfelten Haufen, die Angsthasen und die Draufgänger, die alten Haudegen, die Patrioten und Kriminellen, die, die vor dem Töten Angst, und die, die Spaß dabei gehabt hatten.
Wie die Spiegel entzerren, in die wir blicken? Aber Schwamm drüber. Und zum Teufel mit der ganzen Bande. Es ist ja nicht alles Dynamit, was sie anzubieten haben. Es kann ja nach einer Sauftour ganz nützlich sein, genügend Aspirin zur Hand zu haben.
Chuck machte schlapp. Er hatte sich verausgabt. Und es tat ihm, als er registrierte, daß er nicht ein Mikrophon, sondern einen Hörer in der Hand und am anderen Ende einen unbeteiligten, unschuldigen Zuhörer in der Leitung hatte, auch leid, sich in Rage geredet zu haben, geradeso, als habe er sich in dieser Frage persönliches Versagen vorzuwerfen. Aber Chuck war so einer, der, wenn er erregt war, ohne Schalldämpfer redete. Etwas in ihm war noch immer besessen von Idealen, die keine Konjunktur mehr hatten, altmodische Ideale wie Gerechtigkeitssinn, Anständigkeit, ein bestimmtes Quantum davon, Ideale, die zu verlieren er mehr fürchtete als Hunger oder Erfolglosigkeit oder den Untergang der Welt. Er entschuldigte sich und versuchte, wieder normal zu atmen. Übrigens, was nehmen Sie denn so?
Ich?
Keine Drogen? Pilze? LSD? Marihuana? Nichts? Nicht mal ein bißchen Opium?
Das war es, was Chuck bis heute bedauerte, nie selbst welches geraucht zu haben, nicht mal ein bißchen, eine Droge, vor der er die größte Hochachtung hatte. Ja,Hochachtung war das richtige Wort! Es gab nicht viel, was ihn verlockt hätte, nach Katmandu oder Saigon oder überhaupt nach Asien zu fliegen, aber Opium wäre eine Option. Eine Opiumhöhle, einmal nicht in Technicolor! Selbst Antworten suchen auf all die Fragen, die sich Chuck, wenn er an Opium dachte, gestellt hatte. Er hatte sich dazu sogar regelrecht Notizen gemacht, Fragen, nichts als Fragen. Hier ein kleiner Auszug:
Wie ist der Zustand, den Tod hinter sich zu lassen?
Welche Farbe hat die Ruhe eines vom Opium Berauschten?
Künstlich gesteuerte Seele? Schiffbruch? Ankunft auf
Paradiesen?
Ist Opium die Rache des Ostens am Westen? Rache an der Barbarei der Beschleunigung, der Erfindung immer
schnellerer Geschwindigkeiten?
Auf dem Nachhauseweg gestern in der U-Bahn ein Plakat gesehen, Werbung einer Internet-Firma. Vorsprung durch Tempo! war da zu lesen gewesen; was für eine erbärmlich dumme Behauptung.
Gedichtzeilen von Hermann Hesse:
Hände laßt von allem Tun,
Stirn vergiß du alles Denken,
Alle meine Sinne nun
Wollen sich in Schlummer senken.
Ein Loch in die Zeit brennen?
Schlaf und Wachen, Interesse und Gleichgültigkeit –
alles eins?
Unruhe, die in Rauch aufgeht?
Schwarz glühendes Unglück. Visionen, welche?
Opium räumt auf (stelle ich mir vor!) – wie eine Pyramide,
die im Sand aufragt, mit der Architektur der Zukunft
aufräumt?
Das Leben stirbt nicht, es sterben die Leben.
Träumer auf Besuch bei Träumen.
… eine Sättigung herrlicher Zeichen, die im Licht ihrer
fehlenden Erklärung baden (Godard)
Einmal, auf einer Gesellschaft, wurde er einem Mann vorgestellt, einem, wie man ihm sagte, professionellen persischen Märchenerzähler, der, als er ihn auf Opium ansprach, ohne großes Aufhebens, als sei es die natürlichste Sache der Welt, erzählte, daß er damit aufgewachsen sei, sein Vater habe es geraucht – zur Entspannung, ebenso sein Großvater und alle seine Onkels. Er selbst rauche es, wenn er in den Iran reise. Wo er herkomme, rauche jeder, der Bäcker, der Automechaniker, der Professor für Philosophie, und jeder gehe seiner Arbeit nach. Es sei, in Maßen genossen, reine Medizin, wenn man nicht, wie das die Armen tun und die Süchtigen natürlich, auch noch den Rest, der in der Pfeife zurückbleibe, rauche, das Destillat, die Essenz.
Was dieser Mann sagte, war nicht, was Chuck erwartet hatte und hören wollte. Da konnte man ja, wenn es nur um Entspannung ging, gleich beim Haschisch bleiben, beim Whisky, Wein oder, o Gott, beim Bier. Er mußte ihm die Enttäuschung angesehen haben. Haben Sie ein Problem, fragte er, schaute sich um, entdeckte jemand und ließ ihn stehen. Tatsache blieb, daß es nicht zu bekommen war. Es gab keinen Markt. Es war nicht in Mode. Er kannte auch keinen, dem er diesen
Weitere Kostenlose Bücher