Das Geschenk
zusammenzog, war etwas in der Luft, das bisher gefehlt hatte. Zunder! Für einen Augenblick standen sich nicht eine Ärztin und ein Patient männlichen Geschlechts gegenüber, sie im weißen Kittel, der Uniform ihres Berufsstandes, er entblößt, mit nichts als einem schon ziemlich ramponierten Muhammad-Ali-I-Am-The-Greatest-T-Shirt am Leib, sondern Gegner, Feinde, die guten alten Feinde, ein Mann und eine Frau. Was wie die Geschichte von der Katze und dem Matrosen war, die es auf eine einsame Insel verschlagen hatte und die eines Tages Besuch von einer Meerjungfrau bekamen. Den Rest können Sie sich denken. Die Katze stellt sich einen ganzen Fisch, der Matrose eine ganze Frau vor.
Nun? sagte sie.
Ja, dachte Chuck, was nun? Und tat sich fast selbst leid dabei. Was für eine Erleichterung wäre es jetzt, auf jemand eifersüchtig sein zu können, auf einen Zauberer – nur daß wir uns da nicht falsch verstehen, würde Chuck sagen, einen wirklichen Zauberer, und nicht etwa einen geschickten kleinen Schwindler –, auf einen Meister seines Fachs, einen Helden der Kunst, eine Frau umzubetten in Luft, sie frei schwebend zu liebkosen, sie geduldig und ohne jede Verlegenheit zu entkleiden, sie, sobald es dann soweit wäre, verschwinden zu lassen, nur noch für den sichtbar, der sie hielt. Aber wozu Wunder, wo sie selbst eines war! Sollten sie sich irgendwann in der Stadt zufällig noch einmal über den Weg laufen, vielleichtkönnte er sie wenigstens dazu ermutigen, über den Sinn verpaßter Chancen zu meditieren.
Mehr war nicht. Mehr stand nicht im Skript. Ihre Stimme war wie der Schwamm, der die Tafel, die Chuck vollgekritzelt hatte, leer wischte.
Okay, sagte Chuck, dann mal ran an die Arbeit. Und bat unsichtbare Engel, ihm bei der Verrichtung dieser Arbeit gnädig zur Hand zu gehen.
Es hatte lange gedauert, bis Chuck zu dem, was man Pharmaindustrie nennt, mehr einfiel als der Arzneischrank seiner Eltern, aus dem alles herausfiel, sobald man ihn öffnete, ein kleiner unscheinbarer verbeulter Blechkasten im Badezimmer, in dem er Geheimnisse vermutete. Er hatte regelrecht Herzklopfen, wenn er ihn öffnete, was er nur dann tat, wenn er sicher war, daß niemand ihn beobachten konnte, denn er hatte, sobald er sich dem Kästchen auch nur näherte, immer das Gefühl gehabt, etwas Verbotenes zu tun. Er hatte keine Ahnung gehabt, keine Informationen, bis er viel später begriff, was all diese Mittelchen in Wahrheit waren, Munition! Es ist ein Krieg, aber nicht einer, der gegen Krankheiten geführt wird, sondern einer einiger Konzerne um Geld, um schwindelerregende Summen. Ein Multi-Milliarden-Gewerbe. Man kann davon, wenn man bei Verstand ist, keine Vorstellung haben, nicht annähernd.
Hallo? Sind Sie noch dran?
Bin ich. Ich habe nur einfach zugehört.
Gut, wo waren wir stehengeblieben?
Daß die Sie einladen wollen. Und daß Sie mir sagen, ob Sie einverstanden sind.
Mit was, verdammt noch mal, soll ich einverstanden sein? Man muß sich das mal vorstellen, falls einem das gelingt. Da verdient diese Bande, zumindest einige wenige Firmen, mit Kriegen wie denen in Vietnam, in Laos und Kambodscha mehr Geld als die Rüstungsindustrie und die Meute der Waffenschieber zusammen, mit nichts als mit Aufputschmitteln, mit Psychopharmaka, mit ›go-pills‹, wie die Dinger heißen, die jeden, der sich damit andröhnt, scharfmacht. Im Krieg gegen den Irak, dem ersten, soll jeder zweite Soldat das Zeug intus gehabt haben. Die sollen damals, hab ich mal gelesen, acht Milliarden Einheiten Amphetamin im Jahr an ihre Jungs verteilt haben. Acht Milliarden! Und das nur, damit sie rausgingen und alles, was sich bewegte, abmurksten, und das nicht nur eiskalt und professionell, sondern richtig mit Spaß, ohne im geringsten in Konflikt zu geraten mit irgendeinem Rest menschlichen Gefühls. Sie wünschten sich wahrscheinlich, es diesen asiatischen Ratten, jedem einzelnen von ihnen, nicht noch gründlicher besorgen zu können. Kein Toter war tot genug, um ihm nicht noch eine endgültig letzte Ladung zu verpassen. Die kleinen runden Scharfmacher waren von einer Beschaffenheit, um Soldaten problemlos und zuverlässig zu Mördern zu machen, und das drei, vier Tage rund um die Uhr. Man hätte sie für den Wahnsinn, der auf der Tagesordnung der Militärs stand, nicht besser präparieren können. Wie man mit den von ihren Kampfeinsätzen bis zum Irrsinn erschöpften, zu Krüppeln geschossenen Kreaturen später, in Friedenszeiten, fertig werden
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