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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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Verlust des Tao gewehrt hatte.
    »Wie können Blumen sich gegen Sicheln wehren? Wie können Bäume sich gegen Äxte wehren?« entgegnete der Weise. »Die Menschen des Altertums lebten wie Blumen und Bäume in tiefer Einheit mit der Natur. Die ersten Könige raubten ihnen diese Einheit, aber die Menschen bewahrten sich noch ihre Unschuld. Die nächsten Könige stahlen ihnen ihre Unschuld, aber noch lebten die Menschen in Frieden. Doch unter der Herrschaft der nachfolgenden Könige verfiel das Leben mehr und mehr, denn sie brachten das Ordnen und Verbessern in die Welt, verleugneten den höchsten Sinn und
ersetzten ihn durch das sogenannte Gute. In dieser Zeit verloren die Menschen ihre Verbindung mit der natürlichen Weisheit der Seele und begannen, dem Verstand zu folgen. Ihres seelischen Augenlichts beraubt, tappten sie im dunkeln und verstrickten sich in Streitigkeiten, Neid, Lügen, Gier und Gewalt. Und das Tao war für sie endgültig verloren! Sie hätten die Prediger mit Mißachtung strafen oder sie auslachen sollen, doch sie kannten keinen Argwohn, sie waren so leicht zu verderben.«
    »Und wenn sie jetzt die Prediger mißachten und ihren Reden keinen Glauben mehr schenken würden?« fragte Min Teng.
    »Ja, wenn sie es täten«, sagte Tschuang Tse. »Wenn sie die Prediger aus dem Land trieben, wenn sie weisheitsloses Wissen verschmähten wie eine ungenießbare Speise, wenn sie alle Edelsteine und Perlen in die Flüsse würfen wie Kieselsteine, wenn sie alle Siegel und Stempel zerstörten, wenn sie alle Scheffel und Waagen vernichteten, wenn sie das Geld abschafften, vielleicht würden sie dann zur Ehrlichkeit und Natürlichkeit zurückfinden. Wenn sie all dies täten, würden sie vielleicht ihre Gier verlieren und aufhören, zu streiten und einander zu betrügen. Aber glaubst du, Min Teng, daß sie es täten?«
    »Ich glaube es nicht. Sie hängen zu sehr an Perlen und Edelsteinen, um sie wegzuwerfen. Sie lieben das Geld viel zu sehr, um es abzuschaffen. Und sie sind zu stolz auf ihr Wissen, um es zu verschmähen.«
    »Eher würden sie sich die Ohren abschneiden, als auf
ihr Wissen zu verzichten!« sagte Tschuang Tse. »Ihnen geht es doch darum, es zu vermehren! Doch vermehrt sich das Wissen um Pfeil und Bogen und Armbrüste, so geraten die Vögel in der Luft in Verwirrung. Vergrößert sich das Wissen um Angeln, Netze, Köder und Reusen, so kommen die Fische im Wasser in Verwirrung. Vermehrt sich das Wissen um Fallen, Schlingen und Fallgruben, bringt dies die Tiere des Feldes und Waldes in Verwirrung. Wächst das Wissen um Falschheit, Lügen, Verleumdungen, Spitzfindigkeiten und Intrigen, so geraten die Sitten in Verwirrung. Durch Überschätzung der weisheitslosen Erkenntnis ist die Welt in Unordnung geraten. Die Menschen streben nach dem, was sie nicht wissen, anstatt nach dem, was sie vor langer Zeit einmal wußten. Sie rügen, was sie für schlecht halten, anstatt das zu tadeln, was ihnen als gut erscheint, und so steigern sie die heillose Unordnung mehr und mehr. So läßt der Schein der Sonne und des Mondes nach, so versiegt die Lebenskraft der Flüsse und Berge, so gerät der Gang der Jahreszeiten durcheinander. Bis zum kleinsten Wurm, bis zur kleinsten Fliege hinunter verliert alles in der Welt seine wahre Natur, wird sich selbst immer fremder und entfernt sich weiter und weiter vom Tao. Seit die Menschen aus dem Tao gefallen sind, reißen sie alles Leben auf der Welt mit sich in den Abgrund der Selbstentfremdung und Verwirrung. Der Fluch des weisheitslosen Wissens lastet auf ihnen, doch in ihrer Verblendung empfinden sie ihn als Segen!«
    »Aber Wissen kann auch ein großer Segen sein!« sagte
Yu Lin. »Kun Liang hat mit seinem Heilwissen schon so vielen kranken Menschen geholfen.«
    »Wissen als solches ist weder schlecht noch gut«, erwiderte Tschuang Tse. »Ob es ein Segen oder Fluch ist, hängt von den Menschen ab, die es benutzen, und von der Art und Weise, wie sie es benutzen. Wäre Kun Liang kein Heilkundiger, sondern ein Mörder, könnte er mit seinem Wissen um die Wirkungen der Pflanzen viele Menschen vergiften. Er wendet sein Wissen hilfreich an, weil er ein guter, weiser Mensch ist. In den Händen eines solchen Menschen wird Wissen zu einem Segen. In den Händen eines bösen, weisheitslosen Menschen kann das gleiche Wissen zu einem Fluch werden. Da sich kaum verhindern läßt, daß mit der Zeit das Wissen in alle Hände gelangt, wird es immer beides zugleich sein: Segen und

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