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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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zurückgewinnen. Dies ist um so schwieriger, je größer die allgemeine Verwirrung ist. Und ich befürchte, daß sie noch ein gewaltiges Wachstum vor sich hat.«
    »Wie kann ein einzelner Mensch das Tao zurückgewinnen?« fragte Min Teng.
    »Indem er sich nicht zu sehr darum bemüht! Wenn es geschehen soll, geschieht es federleicht, wie von selbst, ohne eine Anstrengung seinerseits. Er muß es einfach nur geschehen lassen. Er darf nicht darum kämpfen, sonst wird es ihm mißlingen. Das mag für einen ehemaligen Soldaten schwierig zu verstehen sein, aber so verhält es sich nun einmal. Der Zugang zum Tao läßt sich durch nichts erzwingen. Er ist ein Geschenk des Himmels.«
    »Wenn das Tao ein Geschenk des Himmels ist: Wem gibt der Himmel es?«
    Auf Yu Lins Frage antwortete Tschuang Tse: »Denen mit einer unbeugsamen Sehnsucht nach der Freiheit und Wahrheit ihres eigenen Wesens und dem Einklang mit
der Natur des großen Ganzen. Diese Sehnsucht stimmt den Himmel großzügig.«
    »Du sagst, man könne das Tao erfahren, indem man sich nicht zu sehr darum bemüht. Ist es denn sinnvoll, sich überhaupt darum zu bemühen?«
    »Durchaus, Yu Lin. Wenn du den Weg ins Tao finden willst, beobachte dein Denken und seine Wirkung auf dich. Wenn du es gut beobachtest, wirst du feststellen, daß es dich daran hindert, im wahren Erkennen aufzugehen und dich der höheren Eingebung hinzugeben. Die gewöhnlichen Menschen meinen, daß man, ohne zu denken, nichts verstehen kann, doch der Mensch des Tao versteht unmittelbar, ohne das Mittel des Verstandes, er versteht mit der Seele. Für die Seele sind Gedanken wie Nebel für die Augen. Wenn der Nebel sich lichtet, wird das Eigentliche sichtbar.«
    »Wenn du das Herz deiner Lehre in wenigen Sätzen zusammenfassen müßtest: Welche Worte würdest du wählen?«
    Yu Lins Frage schien Tschuang Tse zu überraschen. »Ich habe keine Lehre! Wenn ich eine hätte, würde es mir doch sehr an Einsicht mangeln. Lehren verkünden den Menschen, wie sie denken und handeln sollen, und gerade da liegt der große Irrtum aller Lehren, denn jeder Mensch hat seine eigene Natur und kann nur dann glücklich werden, wenn er sie verwirklicht. Aus Lehren werden schnell Regeln, aus Regeln werden schnell Gebote und Gesetze, an die alle sich halten sollen, obwohl jeder sich erheblich vom anderen unterscheidet.
Die Herrscher zwingen aber die Menschen dazu, dieselben Sitten und Gebräuche zu pflegen und dieselben Gebote und Gesetze zu befolgen, was der Eigenart jedes einzelnen widerspricht, denn was den einen erquickt, ist für den anderen Gift. Darum ist Herrschaftslosigkeit die einzige Lebensform, in der jeder seine eigene Art entfalten und dadurch Glück erlangen kann, so wie es die Menschen des Altertums konnten. Doch den unheilvollen Predigern, denen damals das Natürliche, also das Bestmögliche, nicht mehr gut genug war, folgten die verhängnisvollen Könige und Kaiser und begründeten die Macht des Menschen über den Menschen. Spätestens an diesem Punkt war nicht nur das Tao, sondern auch die Hoffnung auf die Rückkehr ins Tao verloren, denn die Macht war den Herrschern tausendmal wichtiger als das Wohl der Beherrschten, und sie festigten sie so sehr, daß sie durch nichts mehr aus der Welt zu schaffen war und sein wird. Die Kriege, die seit Jahrhunderten wüten und in Jahrhunderten noch wüten werden, dienten und dienen einzig und allein dem Erhalt und der Vergrößerung der Macht gewissenloser Herrscher.«
    In Tschuang Tses Gesicht schien bei seinen Worten eine Spur von Ärger gestiegen zu sein, der sich jedoch schnell wieder verzog wie eine kleine dunkle Wolke, die sich für eine kurze Weile vor die Sonne geschoben hatte.
    »Was ist das Geheimnis deiner Weisheit?« fragte Yu Lin.
    Tschuang Tse lächelte. »Weisheit hat kein Geheimnis. Wenn man die richtigen Schuhe trägt, vergißt man
seine Füße. Wenn man den richtigen Gürtel hat, vergißt man seine Hüften. Wenn man in seiner Erkenntnis alles Für und Wider vergißt, hat man das richtige Herz. Wenn man in seinem Inneren nicht mehr schwankt und sich nicht nach anderen richtet, hat man die Fähigkeit, richtig mit den Dingen umzugehen. Wenn man soweit ist, daß man das Richtige trifft und niemals das Richtige verfehlt, dann hat man das richtige Vergessen dessen, was richtig ist.«

DER FLUCH DES WEISHEITSLOSEN WISSENS

    Das längere Schweigen, das Tschuang Tses Worten gefolgt war, wurde von Min Tengs Frage gebrochen, warum im Altertum sich niemand gegen den

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