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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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den Menschen ein Buch schenkt.«
    Drei Augenpaare richteten sich auf Tschuang Tse.
    »Wenn es geschrieben werden will, werde ich es schreiben«, sagte er.
    »Käme es nicht allein darauf an, daß du es schreiben willst?« fragte Mo Tschen.
    »Oft reicht der Wille allein nicht aus, um etwas Unvergängliches zu schaffen, selbst wenn Kraft und Kunst es bewirken könnten. Es muß noch etwas vom Willen Unabhängiges, vom Schicksal Gewolltes hinzukommen, damit ein Werk von höchstem Wert gelingt. Khing, der Meister der Holzarbeiter, schnitzte einmal im Auftrag des Fürsten von Lu einen Glockenspielständer. Allen, die sein Werk sahen, erschien es so vollkommen, als sei es nicht von Menschenhand, sondern von Geistern geschaffen worden. Der Fürst von Lu fragte schließlich Meister Khing: ›Was ist das Geheimnis deiner Kunst?‹
    Khing antwortete ihm: ›Dein Untertan ist nur ein einfacher Handwerker, was für Geheimnisse könnte
er schon besitzen? Und doch ist da etwas. Als ich mich entschlossen hatte, den Glockenspielständer zu schnitzen, hütete ich mich vor jeder Schwächung meiner Lebenskraft. Ich zog mich in die Abgeschiedenheit zurück und sammelte mich, um meinen Geist zur vollständigen Ruhe zu bringen. Nach drei Tagen hatte ich allen Lohn vergessen, den ich mit meiner Arbeit erzielen könnte. Nach fünf Tagen hatte ich allen Ruhm vergessen, den ich damit erwerben könnte. Nach sieben Tagen hatte ich meine Gliedmaßen und meine Gestalt vergessen. Selbst der Gedanke an deinen Auftrag war verschwunden. So sammelte sich meine Kunst, von keinen Äußerlichkeiten mehr gestört. Nun ging ich in den Hochwald und betrachtete die Formen der Bäume auf meinem Weg. Ich mußte tagelang suchen, bis ich endlich einen Baum erblickte, der genau die richtige Form hatte. Als ich ihn sah, erschien der Glockenspielständer vor meinem inneren Auge. Ich fällte den Baum und ging ans Werk. Hätte ich diesen Baum nicht gefunden, wäre der Glockenspielständer nie entstanden. Meine Art und die Art des Baums vereinigten sich, und durch ihre Vereinigung entstand Vollkommenheit. Was Geistern zugesprochen wird, ist allein darin gegründet.‹
    Wie Lao Tse einen Grenzwächter brauchte, um seine Verse zu schreiben, und wie Khing einen ganz bestimmten Baum finden mußte, um seinen Glockenspielständer zu schnitzen, werde ich etwas meinem Willen nicht Zugängliches benötigen, um ein Buch schreiben zu können«, schloß Tschuang Tse seine Erklärung.

    »Du wirst ein Buch schreiben«, sagte Yu Lin mit einem eigenartigen Lächeln.
    Tschuang Tse blickte sie verwundert an und schien zu einer Frage anzusetzen, doch dann mußte er plötzlich gähnen, womit er Min Teng und Mo Tschen ansteckte. Das veranlaßte den Gastwirt zu dem Vorschlag, die Tischrunde aufzulösen und sich zum Schlafen zurückzuziehen, zumal die Flüchtlinge am nächsten Tag einen anstrengenden und gefährlichen Ritt vor sich hatten.
    Sein Vorschlag fand die Zustimmung seiner Gäste, doch bevor sie sich von ihren Sitzmatten erhoben und in ihre Zimmer zurückzogen, wandte sich Mo Tschen ein letztes Mal an Tschuang Tse. »Ich werde«, sagte der Gastwirt, »sicherlich noch lange über deine Worte nachdenken, doch ich habe schon jetzt das Gefühl, daß sie viel Gutes in mir bewirkt haben. Etwas, das lange wie erstarrt oder verknotet in mir ruhte, hat sich befreit und in Bewegung gesetzt.«

EIN LICHT IN DER DUNKELHEIT

    Das Licht des Mondes fiel durch das breite Fenster und zauberte einen zarten Frieden in das Gästezimmer. Min Teng lauschte den tiefen Atemzügen Tschuang Tses, der auf der Schlafmatte an der gegenüberliegenden Zimmerwand lag und vielleicht wieder träumte, daß er ein Schmetterling sei, der glücklich und fröhlich umherflatterte und ganz in seinem unbeschwerten Schmetterlingsdasein aufging. Bei diesem Gedanken mußte Min Teng unwillkürlich lächeln.
    Obwohl die beiden Tage ihrer Flucht, die sie größtenteils auf ihren Pferden verbracht hatten, an Tschuang Tses Kräften gezehrt und seinen Rücken stark beansprucht haben mußten, hatte Min Teng kein einziges Wort der Klage oder des Unmuts aus seinem Mund gehört.
Statt dessen hatte er alle Fragen, die an ihn gerichtet wurden, geduldig beantwortet, auch wenn er vielleicht manchmal das Gefühl gehabt hatte, daß man ihm Löcher in den Bauch fragte.
    Tschuang Tse war ein Licht in der Dunkelheit, in der die allermeisten Menschen lebten. Ein Licht, so hell und stark, daß es Min Tengs Ich mit seiner Strahlkraft getötet

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