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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kruppa
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hatte. Aber vielleicht nur deshalb, dachte er, weil es bereit gewesen war zu sterben. Oder besser, weil er bereit gewesen war, es sterben zu lassen. Doch wer war er nun, nachdem sein falsches Bild von ihm im Feuer der Worte Tschuang Tses verbrannt war? Wer oder was war das in ihm, das den Tod seines Ichs überlebt hatte? Seine unsterbliche Seele, die sich aus den Kerkermauern seines Verstandes befreit hatte – oder besser, befreien lassen hatte? Und diesen Menschen, seinen Befreier, der ihm den vielleicht größten Dienst erwiesen hatte, den ein Mensch einem anderen erweisen konnte, hätte er fast getötet!
    In seinem Leben war er noch nie einem Mann begegnet, der auch nur annähernd mit Tschuang Tse zu vergleichen war. Seit des Beginns ihrer gemeinsamen Flucht hatte er ihn aufmerksam beobachtet, hatte sich jedes seiner Worte gemerkt, hatte alle seine Lebensäußerungen in sich aufgenommen wie ausgedörrte Erde lang ersehnte Regentropfen. Doch bislang war es ihm nicht gelungen, aus diesem Weisen klug zu werden, der so viele Widersprüche in sich vereinigte, und vielleicht würde er es nie vermögen, was ihn nicht daran hindern sollte,
Tschuang Tse für immer in bewundernder Dankbarkeit verbunden zu sein.
    Welch ein Glück es gewesen war, daß Hauptmann Feng ihn ausgerechnet zu Tschuang Tse geschickt hatte! Wäre er mit dem Befehl losgeritten, einen anderen Mann zu töten, hätte er ihn in seiner Verblendung womöglich ausgeführt und seine Seele mit einer Schuld belastet, die er niemals hätte abtragen können und die immer größer geworden wäre mit jedem weiteren Mord, den er im Auftrag Prinz Yans begangen hätte.
    Es hatte eines Mannes wie Tschuang Tse bedurft, um ihm die Augen zu öffnen, um ihn aus dem seelischen Schlaf zu reißen, in den er nach dem Tod seiner Eltern gefallen war – ein trügerischer Schlaf, in dem es ihm als ein Glück erschienen war, in der Palastwache eines Landesherrschers zu dienen, dessen verbrecherisches Wesen er nicht wahrhaben wollte, bis Tschuang Tse ihn dazu gezwungen hatte, sich der Wahrheit zu stellen.
    Erneut fragte er sich, wer er nun eigentlich war, seit er sein bisheriges Leben unwiderruflich hinter sich gelassen hatte. Aber womöglich war es gar nicht so wichtig, dies zu wissen. Wichtig war allein, daß er nicht in den Strudel des Verderbens geraten war, in dem seine Seele ihre Unschuld und mit der Zeit sich selbst verloren hätte. Wichtig war allein, daß er seinen neuen Lebensweg frei von Schuld und Selbstbetrug begonnen hatte, wohin er ihn auch führen mochte.
    Unwillkürlich legte er seine Hand auf die Wand, hinter der Yu Lin in ihrem Zimmer ruhte, als könnte er dadurch
eine Verbindung zu ihr aufnehmen. Wahrscheinlich schlief sie schon genauso fest wie Tschuang Tse, zumal sie in der vorherigen Nacht nicht viel Schlaf gefunden hatte. Auch vor ihr lag ein neues Leben, für das sie sich aus eigener Kraft entschieden hatte, als ihr altes Leben sich in ein Kerkerdasein zu verwandeln drohte.
    Von Anfang an hatte er Yu Lins Mut und Entschlossenheit bewundert, die sich dem Willen ihrer Mutter widersetzte und ihr bisheriges Leben aufgab, um ihre Freiheit nicht zu verlieren. Nur wenige junge Frauen wären zu einer solchen Unbeugsamkeit fähig gewesen. Die allermeisten hätten sich mit ihrem Schicksal abgefunden und sich mit den guten Seiten ihres Loses getröstet; schließlich war ein Leben als dritte Frau des reichsten Mannes von He Jing nicht das Schlimmste, was ihr geschehen konnte. Aber Yu Lin strebte nicht nach Ansehen und Wohlstand. Ihr Leitstern war die Liebe, und daß sie bereit war, dafür alles im Stich zu lassen, was sie mit ihrem bisherigen Leben verbunden hatte, zeugte von der Stärke ihres Glaubens an die Liebe und einer Kenntnis ihres eigenen Wesens, die nicht viele Menschen in ihrem Alter besaßen.
    Dabei war die Liebe, nach allem, was er von ihr gesehen und gehört hatte, ein recht flüchtiges Gefühl, eine unerklärliche Laune des Herzens, der Vergänglichkeit in noch höherem Maße preisgegeben als andere Werte. Wer großes Glück in ihr suchte, konnte großes Unglück finden, das alle Freude am Leben grausam zerstörte. Seine Mutter hatte die Verzweiflung über den Verlust ihres
Mannes in eine tödliche Krankheit getrieben. Ein junger Mann in seinem Heimatdorf hatte sich selbst getötet, weil er nicht ertragen konnte, daß die Frau, die er aus ganzem Herzen liebte, einem anderen Mann versprochen wurde. Er habe sie zu sehr geliebt, hieß es damals, doch

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