Das Geschenk der Wölfe
gesehen hatte.
Aus den Fenstern drang aber genug Licht, um sich zurechtzufinden, selbst noch im Eichenwald an der Ostseite des Hauses. Es waren wunderbare Bäume, und sie waren so gewachsen, dass man sie leicht erklimmen konnte. Reuben machte Laura darauf aufmerksam, dass die unteren Äste zu einer Kletterpartie geradezu einluden. Wenn das nächste Mal die Sonne schien, wollte er hinaufsteigen. Auch Laura hatte Lust dazu.
Sie schätzten die Höhe des Hauses auf knapp zwanzig Meter. An seiner nordwestlichen Ecke standen Douglastannen, die fast so hoch waren wie die nahen Redwoodbäume. Die Eichen begrenzten den Schotterweg entlang der gesamten Ostseite. Efeu bedeckte große Teile der Hauswände, aber rund um die Fenster war er sorgfältig gestutzt. Im Gegensatz zu Reuben kannte Laura die Namen aller Bäume, und sie zeigte ihm die Westamerikanische Hemlocktanne und die Steinfruchteiche, die gar keine Eiche war.
Reuben fragte sich, wie er in menschlicher Gestalt und ohne Hilfsmittel das Dach erklimmen sollte. Für eine Dachdeckerfirma wäre es ein Leichtes, Leitern an der Stirnseite des Hauses aufzustellen, aber das war genau die Art Aufsehen, die er vermeiden wollte. Als Wolfsmensch könnte er natürlich ohne weiteres die Wand hochklettern, doch dann müsste er Laura allein lassen, und das wollte er nicht.
Noch nie hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich eine Waffe zuzulegen, aber jetzt tat er es. Er wusste, dass Laura schießen konnte, obwohl sie Waffen hasste und auch ihr Vater keine besessen hatte. Ihr Mann hatte sie einmal mit einer Waffe bedroht, aber darüber wollte sie nicht sprechen. Sie sagte, die Axt sei ihr Schutz genug, wenn Reuben aufs Dach stiege. Außerdem glaubte sie, dass er sie hören würde, sollte sie um Hilfe rufen, so wie es früher schon der Fall gewesen war.
Als sie ins Haus zurückkehrten, klingelte das Telefon.
Reuben nahm das Gespräch in der Bibliothek an.
Es war Simon Oliver.
«Regen Sie sich bitte nicht auf, Reuben! Lassen Sie mich erst zu Ende reden», sagte er. «Ich gebe allerdings zu, dass ich so etwas noch nie erlebt habe. Aber das muss nicht heißen, dass die Dinge schlechtstehen. Wenn wir gut überlegen, wie wir uns dazu verhalten, kann es sogar ausgesprochen günstig sein.»
«Wovon, zum Teufel, reden Sie, Simon?», fragte Reuben. Er saß am Schreibtisch und platzte beinahe vor Neugier, während Laura im Kamin Feuer machte.
«Sie wissen ja, dass ich Baker und Hammermill sehr schätze, vor allem Arthur Hammermill», fuhr Simon fort. «Ich vertraue ihm, wie ich meinen eigenen Leuten vertrauen würde.»
Reuben verdrehte die Augen.
«Die Sache ist die, Reuben … Ein möglicher Erbe ist aufgetaucht. Nein, lassen Sie mich ausreden! Anscheinend hatte Felix Nideck – das ist der Mann, der verschwunden ist –»
«Das weiß ich doch.»
«Okay. Also dieser Felix Nideck hatte anscheinend einen unehelichen Sohn, der auch Felix Nideck heißt, genau wie der Vater, und der ist nun hier in San Francisco aufgetaucht und … Nein, Reuben, hören Sie mir zu!»
Reuben war wie vor den Kopf gestoßen. «Ich habe doch gar nichts gesagt, Simon!»
«Tja, vielleicht mache ich mir mehr Sorgen als Sie, und das ist ja auch mein Job. Jedenfalls sagt dieser Mann, dass er keinerlei Ansprüche auf Haus und Grundstück erhebt. Verstehen Sie? Gar keine! Natürlich ist noch nicht mal geklärt, ob er das überhaupt könnte. Die Dokumente, die er vorgelegt hat, könnten Fälschungen sein, und es heißt, er lehnt es ab, sich einem DNA -Test zu unterziehen …»
«Interessant», sagte Reuben.
«Mehr als das», fuhr Simon fort. «Wenn Sie mich fragen, ist es höchst suspekt. Aber der Punkt ist, dass er Sie kennenlernen möchte, hier bei mir oder in der Kanzlei von Baker und Hammermill, das können wir uns aussuchen. Ich finde, wir sollten uns hier treffen, aber wenn Sie wollen, können wir es auch dort tun. Er will mit Ihnen über das Haus sprechen, über Dinge, die sein Vater da zurückgelassen hat, als er verschwand.»
«Ach ja? Weiß er etwas darüber, wie und warum sein Vater verschwunden ist?»
«Nein. Dazu kann er leider nichts beitragen. Jedenfalls sagt Arthur das. Nein, da ist wohl nichts zu holen. Angeblich hat er in all den Jahren nichts von seinem Vater gehört.»
«Interessant», sagte Reuben wieder. «Und woher weiß man, dass dieser Mann ist, wer er zu sein vorgibt?»
«Eine starke Familienähnlichkeit. Unglaublich sogar. Warten Sie, bis Sie ihn sehen, Reuben! Arthur kannte Felix
Weitere Kostenlose Bücher