Das Geschenk der Wölfe
Stimme.
«Was verbirgt sich hinter dem mysteriösen Wesen, das überall auf der Welt als der Wolfsmensch von San Francisco bezeichnet wird? Ein Wesen, das Kinder tröstet, einen Obdachlosen an seinen sicheren Schlafplatz zurückbringt, eine ganze Busladung Entführter befreit und Notrufe absetzt? Bislang haben die Behörden mehr Fragen als Antworten. [Einblendung einer Pressekonferenz im Rathaus der Stadt] Doch eins gilt als sicher: Die Menschen fürchten sich nicht vor diesem Wolfsmenschen von San Francisco. Im Gegenteil. Sie feiern ihn, stellen Zeichnungen, Gedichte und sogar Songs ins Internet.»
Eine Kamera zoomte an zwei Teenager in billigen Gorillakostümen heran, die ein handgemaltes Schild hochhielten: WOLFSMENSCH , WIR LIEBEN DICH ! Es folgte ein Schnitt auf ein junges Mädchen, das zur Gitarre sang: «Es war der Wolfsmensch, es war der Wolfsmensch, es war der Wolfsmensch mit den schönen blauen Augen.»
Dann sprach eine Frau auf der Straße in das Mikrophon eines Reporters: «Ich finde es nicht richtig, dass man die Augenzeugen nicht direkt mit den Medien sprechen lässt. Warum speist man uns mit Informationen darüber ab, was diese Leute angeblich gesehen haben, statt sie für sich selbst sprechen zu lassen?»
Dann sagte ein Mann, hinter dem eine Straßenbahn geräuschvoll die Powell Street hinunterfuhr: «Was soll man denn sonst davon halten? Wir alle wünschen uns doch heimlich, wir könnten das Böse auf der Welt bekämpfen. Immerhin haben diese Kidnapper zwei Kinder getötet, und ein drittes starb an einem diabetischen Schock. Wer sollte sich vor diesem Wolfstypen also fürchten? Ich jedenfalls nicht. Sie etwa?»
Reuben schaltete den Fernseher aus. «Mir reicht’s», sagte er entschuldigend.
Laura nickte. «Mir auch.» Sie ging an den Kamin und schichtete die Holzscheite mit dem Schürhaken um. Dann kehrte sie aufs Sofa zurück, kuschelte sich in das weiße Kissen, das sie aus dem Schlafzimmer mit heruntergebracht hatte, und deckte sich mit einer weißen Wolldecke zu. Reubens neue Bücher über Werwölfe lagen in Reichweite. Seit ihrer Ankunft hatte sie immer wieder darin gelesen.
Das Licht von der Messinglampe auf dem Schreibtisch reichte aus, um das Zimmer gemütlich zu beleuchten. Die Vorhänge hatte Reuben im ganzen Haus zugezogen. Das hatte zwar viel Arbeit gemacht, aber beiden war es so lieber.
Gern hätte sich Reuben jetzt an Laura geschmiegt, entweder hier auf dem Sofa oder oben im Schlafzimmer. Aber dafür waren beide viel zu angespannt. Vor allem Reuben, der fast nur noch an die nächste Verwandlung denken konnte. Würde es heute passieren? Und wenn nicht – wie sehr würde er es vermissen? Seine Ungeduld sprach eine deutliche Sprache.
«Ich wünschte, ich wüsste mehr», sagte er und seufzte. «Passiert es jetzt jede Nacht, bis zu meinem Lebensende? Ich wüsste zu gern, was auf mich zukommt, damit ich mich darauf einstellen kann. Aber am besten wäre natürlich, ich könnte es kontrollieren.»
Laura konnte ihn gut verstehen und hatte nur eine Bitte: dass sie in seiner Nähe bleiben durfte.
Reuben hatte die ersten Stunden, die sie gemeinsam in seinem Haus verbrachten, sehr genossen und Laura ein Zimmer nach dem anderen gezeigt. Sein Schlafzimmer gefiel ihr so gut, wie er gehofft hatte.
Galton hatte viele neue Pflanzen für den Wintergarten besorgt und sich Mühe gegeben, sie effektvoll zusammenzustellen.
Die Orchideenbäume waren prächtig, an die zwei Meter fünfzig hoch und voller pink- und lilafarbener Blüten. Einige hatten beim Transport gelitten, schienen sich aber zu erholen. Dass Marchent sie kurz vor ihrem Tod bestellt hatte, machte sie zu etwas ganz Besonderem. Die Bäumchen flankierten den Springbrunnen, und ein weißes Marmortischchen mit zwei weißen Eisenstühlen stand direkt davor.
Der Springbrunnen war wieder in Betrieb, und sein Wasser rann aus einem kleinen Becken eine Säule hinab in ein breiteres Becken.
Reubens Computerzubehör, der Drucker und die Blu-rays waren eingetroffen. Sämtliche Fernseher waren angeschlossen und funktionierten.
Um Ärger zu vermeiden, hatte Reuben etliche E-Mails beantwortet. Celeste hatte ihm geschrieben, dass die DNA -Analyse in Sachen Wolfsmensch «alle Welt frustrierte», aber was sie damit meinte, schrieb sie nicht.
Grace hatte geschrieben, er müsse unbedingt nach Hause kommen, um sich weiteren Tests zu unterziehen. Falls er aber von Dritten aufgefordert würde, neue DNA -Proben abzugeben, solle er sich weigern, denn dazu
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