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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kamin auf mich», sagte er. «Damit du es warm hast. Ich werde nicht lange fort sein.»
    Sobald er die Lichter des Hauses hinter sich gelassen hatte, begann er zu rennen. Lautlos tauchte er in den Wald ein. Auf allen vieren war er so schnell, dass er kaum etwas sehen konnte. Der Geruch der Wildkatzen wies ihm den Weg, sodass er sich fortbewegte, als würde er von unsichtbaren Strippen gezogen.
    Je tiefer er in den Wald eindrang, desto mehr verlor sich der Seewind, und der Regen wurde zu einem nassen Nebel.
    Als er sich der schlafenden Katze näherte, stieg er in die unteren Äste der Bäume und bewegte sich mit der gleichen Geschwindigkeit weiter fort wie vorher. Immer näher kam er ihrem Schlafplatz. Auch sie konnte ihn jetzt riechen, wachte auf und alarmierte ihre Jungen, deren Knurren und Fauchen Reuben jetzt hören konnte.
    Instinktiv wusste er, was die Katze tun würde. Sie machte sich so klein, wie sie konnte, und baute darauf, dass er über sie hinwegziehen würde. Dann würde sie aufspringen, sich mit den starken Hinterbeinen abstoßen und ihn von hinten angreifen. Wenn möglich, wollte sie ihm in den Nacken beißen, seine Wirbelsäule brechen und ihn so augenblicklich außer Gefecht setzen. Dann würde sie ihm den Hals aufschlitzen und ihn ausweiden. Das alles sah Reuben klar und deutlich vor sich.
    Armes, tapferes, dummes Tier! Es würde einem Gegner zum Opfer fallen, der halb Mensch und ihm geistig wie körperlich überlegen war. Dieser Gedanke minderte Reubens Gier nicht im Geringsten.
    Immer näher kam er, bis sich die Jungen – inzwischen große, kräftige Tiere von sechzig, siebzig Pfund – von den nassen Blättern erhoben und die Flucht ergriffen. Das Muttertier machte sich zum Sprung bereit. Es war ein starkes, gelblich-braunes Tier von etwa hundertfünfzig Pfund. Aber wusste es, wer oder was da nahte?
    Wenn ja, dann weißt du mehr, als ich es vielleicht je tun werde, dachte Reuben.
    Er brüllte, um seinen Gegner zu warnen, und sprang dann vor ihm von Baum zu Baum, um ihn aus der Reserve zu locken.
    Die Berglöwin fiel auf den Trick herein, und obwohl sie schnell lossprang, hatte Reuben Zeit genug, um sich in eine Position zu bringen, aus der er sich auf sie stürzen konnte. Er umklammerte sie mit den Vorderbeinen, während er ihr die Reißzähne in den Hals schlug.
    Noch nie hatte er es mit einer so großen, starken Kreatur zu tun gehabt, die von purem Überlebensinstinkt getrieben war. Fauchend rangen sie einander nieder. Reuben drückte den Kopf in das dichte, stinkende Fell der Berglöwin, und der Kampf zwischen berstenden Zweigen und klatschenden Blättern wogte hin und her. Wieder und wieder schlug Reuben der Katze seine Reißzähne ins Fleisch, verwundete sie und brachte sie langsam zur Raserei. Irgendwann bekam er ein Stück Fleisch zwischen die Zähne und riss es der Katze mit voller Wucht aus dem Leib.
    Doch sie gab nicht auf. Ihr langer, kräftiger Körper wand sich, und sie schlug mit den Beinen aus. Dann heulte sie laut und wütend auf. Doch erst als Reuben auf sie stieg und ihren Kopf mit einer Pfote nach hinten drückte, konnte er sie töten, indem er die weiche Unterseite ihres Halses aufschlitzte und seine Reißzähne bis in ihre Wirbel schlug.
    Nun gehörten ihr Fleisch und Blut ihm. Doch da griffen ihre Jungen ein, umzingelten Reuben und kamen immer näher. Er hielt den leblosen Körper der Mutter mit den Zähnen fest und erklomm den dicken Stamm eines alten Redwoodbaums. Mit Leichtigkeit schaffte er es in größere Höhen als die Katzen, obwohl sein Kiefer von der schweren Beute schmerzte.
    In großer Höhe fand er einen guten Platz im dichten Astwerk. Tiere, deren Nistplätze er passierte, ergriffen vor ihm die Flucht. Auch über sich hörte er es aufgeregt rascheln und zwitschern, als gefiederte Kreaturen sich auf und davon machten.
    Er ließ sich das salzige Fleisch der Berglöwin in aller Ruhe schmecken und verleibte es sich in großen, blutigen Brocken ein.
    Als er satt und seine Gier gestillt war, beobachtete er die wütenden Jungen eine Weile, deren gelbe Augen am Fuße des Baums in der Dunkelheit aufblitzten.
    Er drehte das Muttertier herum und riss ihm die saftige Bauchdecke auf.
    Wieder war er wie im Rausch, und er fraß, bis er einfach nicht mehr konnte. Dann legte er sich in den raschelnden Zweigen zurecht und schloss halb die Augen. Der Regen hüllte alles um ihn herum in einen silbernen Schleier. Als er einmal aufschaute, rissen die Wolken gerade auf, als würden

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