Das Geschenk der Wölfe
stellte gelegentlich Zwischenfragen, wobei zu merken war, dass sie mitdachte und sich in Reubens Leben einfühlte und für alles interessierte, auch für Dinge, die Reuben immer etwas peinlich gewesen waren.
«Es war purer Zufall, dass ich beim
Observer
eingestellt wurde. Billie kennt meine Mutter, und eigentlich wollte sie ihr nur einen Gefallen tun, aber dann gefiel ihr tatsächlich, was ich schrieb.»
Er erzählte, dass er für Celeste «Sonnyboy» war, «mein Baby» für seine Mutter und «Kleiner» für Jim, dass Billie ihn kürzlich als «Wunderkind» bezeichnet hatte und nur sein Vater ihn Reuben nannte.
Darüber musste sie wieder lachen, aber sonst schien es das Natürlichste von der Welt zu sein, sich mit ihr zu unterhalten.
Sie hatte Dr. Grace Golding vormittags in Talkshows gesehen und war ihr einmal sogar bei einem formellen Dinner begegnet. Sie wusste, dass sich die Goldings für den Naturschutz engagierten. «Außerdem habe ich all deine Artikel im
Observer
gelesen», sagte sie. «Viele schätzen deinen Stil. Ich beispielsweise wurde von jemandem auf deine Artikel aufmerksam gemacht, der sie regelrecht bewundert.»
Reuben nickte müde. Unter anderen Umständen hätte ihm bestimmt viel bedeutet, was Laura da sagte.
Sie sprachen über Lauras Jahre an der Universität, ihren verstorbenen Mann und kurz auch über ihre Kinder. Dass sie darauf nicht ausführlicher eingehen wollte, merkte Reuben schnell. Von ihrer Schwester Sandra sprach sie, als sei sie noch am Leben; sie war Lauras beste Freundin gewesen.
Ihren Vater hatte sie als großen Lehrmeister betrachtet. Zusammen mit ihrer Schwester war sie in den Muir Woods aufgewachsen, dann hatten sie Schulen an der Ostküste besucht und in den Sommermonaten Europa bereist, aber die unberührte Natur Nordkaliforniens war immer ihre wahre Heimat gewesen.
In Reuben sah sie einen wilden Mann aus den Wäldern des Nordens, das faszinierende Exemplar einer unbekannten Art, die im Einklang mit der Natur lebte und nicht zurechtkam, wenn sie sich versehentlich in den Wahnsinn des städtischen Lebens verirrte.
In dem kleinen Waldhaus hatte Laura ihren Großvater noch kennengelernt. Im Obergeschoss lagen vier Schlafzimmer, die jetzt alle unbenutzt waren. «Aber immerhin konnten meine Söhne dort noch einen Sommer im Wald genießen», sagte sie leise.
Wie selbstverständlich erzählten sie sich einander alles.
Reuben sprach von seiner Zeit in Berkeley, von den Ausgrabungen im Ausland, an denen er teilgenommen hatte, von seiner Liebe zu Büchern. Sie erzählte von New York und wie sie sich Hals über Kopf in ihren Mann verliebt hatte, wie sehr sie ihren Vater geliebt hatte und dass er sie wegen der Ehe mit Caulfield Hoffman nie kritisiert hatte, obwohl er von Anfang an dagegen gewesen war.
Mit Caulfield war ihr Leben in New York eine endlose Aneinanderreihung von Partys, Konzerten, Opernbesuchen, Empfängen und Wohltätigkeitsgalas gewesen, und es kam ihr jetzt wie ein flüchtiger Traum vor. Ihr Stadthaus am Central Park East, die Kindermädchen, das Tempo und der Luxus ihres Lebens – das alles kam ihr jetzt ganz unwirklich vor. Caulfield sei bankrott gewesen, als er sich und die Kinder tötete. Alles, was sie je besessen hatten, war verloren. Buchstäblich alles.
Manchmal, so sagte sie, wache sie nachts auf und könne gar nicht glauben, dass sie je Kinder hatte, ganz zu schweigen davon, dass sie auf so grausame Weise ums Leben gekommen waren.
Dann erzählte Reuben von seinem neuen Leben, auch von der Nacht, in der er in Mendocino angegriffen worden war. Anschließend stellten beide Spekulationen darüber an, was dabei wohl geschehen war.
Er erzählte, wo er auf den Namen Nideck gestoßen war und dass er aus den Geschichten nicht recht schlau wurde. Dann kam er wieder auf die Kreatur zu sprechen, die ihm vermutlich «das Geschenk» verliehen hatte, wie er es ausdrückte. Er äußerte seine Vermutung, dass es sich um ein umherwanderndes Wesen handeln könnte, das auf seiner Reise zufällig gerade in diesem Teil der Welt war.
Er beschrieb in allen Einzelheiten, wie seine Verwandlung vonstattenging, und berichtete von der Beichte, die er vor seinem Bruder Jim abgelegt hatte.
Laura war nicht katholisch und hielt nicht viel vom Beichtgeheimnis, aber sie akzeptierte, dass es Reuben und Jim wichtig war, und die Bruderliebe der beiden nötigte ihr höchsten Respekt ab.
Ihr naturwissenschaftliches Verständnis war größer als Reubens, aber sie betonte mehrfach,
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