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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sie sei keine Wissenschaftlerin. Sie fragte nach den DNA -Tests, aber er konnte ihr nicht sagen, was sie ergeben hatten. Er vermutete, sagte er, dass überall, wo er in Wolfsgestalt zugeschlagen hatte, DNA -Spuren gefunden worden waren, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, zu welchen Ergebnissen sie geführt hatten.
    Beide waren sich darin einig, dass DNA -Tests die gefährlichste Waffe waren, die andere gegen Reuben in der Hand haben könnten. Und beide wussten nicht, was er tun sollte.
    Fürs Erste war es sicher das Beste, zu dem Haus in Mendocino zurückzukehren. Falls sich die Kreatur dort aufhielt und ihr Geheimnis nur dort lüften würde, sollte man ihr dazu Gelegenheit geben.
    Trotzdem hatte Laura Angst.
    «Ich gehe nicht davon aus», sagte sie, «dass diese Kreatur lieben kann und ein Gewissen hat, so wie du. Vielleicht traust du ihr zu viel zu.»
    «Aber warum?», fragte Reuben und überlegte, was es zu bedeuten hatte, falls sie mit ihrer Vermutung richtiglag. Entwickelte er selbst sich zu einem Wesen, das kein Gewissen und keine Gefühle mehr kannte? Das war seine größte Sorge.
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hielten sie an einem kleinen Restaurant an der Küste. Es war ein schönes Fleckchen Erde, obwohl es in Strömen regnete und der Himmel eine undurchdringliche graue Masse war. Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster, mit Blick aufs Meer und die einsamen und doch so großartigen Klippen.
    Ihr Tisch war mit einer violetten Stoffdecke und passenden Servietten eingedeckt, das Essen delikat. Der Raum hatte eine Dachschräge, und die rustikale Einrichtung und ein Kaminfeuer verbreiteten eine angenehme Atmosphäre.
    Reuben fühlte sich wohl wie selten, doch dann trübte sich die Stimmung.
    Das Meer wurde immer dunkler, bis die Wellen mit ihren silbrigen Gischtstreifen fast schwarz aussahen.
    «Weißt du eigentlich, was ich dir angetan habe?», fragte Reuben leise.
    Im Schein der Kerzen schien Lauras Gesicht beinahe zu leuchten. Ihre dunklen Augenbrauen verliehen ihr etwas Seriöses und Konzentriertes, und ihre blauen Augen waren schön wie immer, obwohl sie etwas Kühles ausstrahlten. Selten hatte Reuben blaue Augen gesehen, die so hell und doch so ausdrucksvoll waren. Ihr ganzes Gesicht verriet, wie fasziniert sie war – und ja, sie war verliebt.
    «Schon als ich dich das erste Mal sah, wusste ich, was du getan hattest», sagte sie.
    «Jetzt bist du eine Mitwisserin», sagte Reuben.
    «Und zwar von ebenso seltsamen wie brutalen Taten.»
    «Es sind keine Phantasiegeschichten, Laura. Es ist wirklich passiert.»
    «Wer wüsste das besser als ich?»
    Nachdenklich saß Reuben da und fragte sich, ob es nicht besser für Laura war, wenn er sie verließe. Andererseits glaubte er zu wissen, dass es die größere Katastrophe für sie wäre. Oder irrte er sich? Konnte er nicht mehr klar denken? Zumindest für ihn selbst wäre es eine Katastrophe, sie zu verlieren.
    «Es gibt Mysterien, die einfach unwiderstehlich sind», sagte sie. «Auch wenn sie das ganze Leben verändern – oder gerade dann.»
    Reuben nickte.
    Er merkte, dass er Laura unbedingt für sich haben wollte, ihre körperliche Nähe brauchte. Das war neu. Gegenüber Celeste hatte er nie solche Gefühle gehabt. Dieser Gedanke schürte seine Leidenschaft. Er wusste, dass man in diesem Gasthof übernachten konnte, und fragte sich, wie es wohl wäre, in seiner menschlichen Gestalt bei Laura zu liegen.
    Doch wie viel Zeit blieb ihm? Er konnte die Verwandlung kaum noch abwarten, denn inzwischen hatte er das Gefühl, sein wahres Ich nur in Wolfsgestalt ausleben zu können.
    Als ihm das bewusst wurde, erschrak er. Laura sagte etwas, aber er hörte nicht zu. Wer oder was bin ich?, fragte er sich. Was, wenn tatsächlich der andere mein wahres Ich ist?
    «… sollten langsam aufbrechen», hörte er Laura sagen.
    «Ja», sagte er.
    Er stand auf, um ihr in den Mantel zu helfen.
    Diese Geste schien sie zu rühren. «Wo hast du die Benimmregeln der Alten Welt gelernt?», fragte sie.

[zur Inhaltsübersicht]
    19
    E s war neun Uhr.
    Sie saßen auf dem Ledersofa der Bibliothek. Ein Feuer brannte im Kamin, daneben stand jetzt ein großer Fernseher. Laura trug eins ihrer weißen Nachthemden, Reuben einen alten Pullover und Jeans.
    Auf dem Bildschirm erschien ein todernster Mann mit roter Krawatte, der sagte: «Zweifellos haben wir es mit einem besonders gefährlichen Psychopathen zu tun, der glaubt, er stünde auf der Seite des Guten, auf unserer Seite. Der

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