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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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Ehrfurchtsbekundungen der anderen Männer ihm gegenüber besonders demütig ausfielen. Er hieß Ipuwer, doch sie wagte nicht, Turi, den freundlichen Nubier, nach ihm zu befragen, um nicht als neugierig dazustehen.
    Einmal pro Tag löste sie die Binden, die noch immer straff ihren Brustkorb umspannten, und wusch sich vorsichtig. Anschließend trug sie die nach ranzigem Fett riechende Salbe auf ihren Körper auf und umwickelte ihn mit frischen Bandagen. Wenn Turi sich in der Nähe aufhielt, kam er ihr stets zu Hilfe.
    Doch vor allem musste Satra erst einmal Unterricht im Rasieren nehmen.
    Der Oberpriester liebte einen von Läusen und sämtlichem Ungeziefer reinen Tempel, und so kamen auch die Diener, egal ob männlich oder weiblich, nicht um eine Rasur der Kopf- und Schambehaarung mindestens alle drei Tage herum. Nach den ersten Versuchen hatte sie ausgesehen, als wäre sie in einen Zweikampf mit einem Schwertkämpfer geraten. Überall kleine und größere Blessuren. Das spöttische Grinsen von Turi und Dedi würde sie wohl nie vergessen. Selbst der sonst so beherrschte Paheri hatte einen leicht amüsierten Gesichtsausdruck gehabt, als er ihre Kratzer gesehen hatte.
    Mit Turi hatte Satra öfter zu tun als mit Dedi. Der Nubier brachte ihr Essen und begleitete oftmals Paheri, wenn dieser Satras Verletzungen auf ihren Heilungsprozess hin untersuchte. Er war freundlich und entblößte jedes Mal seine weißen Zähne, um sie anzulächeln, wenn er sie sah. Satra wusste inzwischen, dass er kein Priester, sondern ein einfacher Diener war. Sie schätzte Turi auf Ende zwanzig.
    Dedi dagegen war für die junge Frau ein Rätsel. Er gehörte zu den Wab-Priestern, und für Satra stand fest, dass der Syrer es auch niemals weiter bringen würde. Es war nicht nur der Umstand, dass Dedi stumm war, was seinem Aufstieg in der Tempelhierarchie nicht sehr zuträglich sein würde. Er lief stets mit einem griesgrämigen und verschlossenen Gesicht umher, als empfände er sein Dasein im Tempel als eine Last, und das, obwohl er höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt war. Nur einmal hatte sie so etwas wie ein Lächeln in seinem Gesicht ausmachen können. Das war nach ihren ersten Rasierversuchen gewesen.
    Beide Männer waren dem Oberarzt unterstellt. Im Gegensatz zu Turi schien sich Dedi aber auch recht gut mit Ipuwer zu verstehen. Satra hatte die beiden des Öfteren zusammenstehen und reden sehen. Das heißt, Ipuwer hatte gesprochen, und Dedi hatte zugehört, genickt, sich verbeugt und eventuell in seiner Zeichensprache auf das Gesagte des Priesters reagiert. Aber was ging sie das an?
    Eines allerdings war Satra bisher noch nicht klar geworden. Wieso trugen einige Diener diesen eigenwillig geformten Reif, der den linken Oberarm fest umschloss? Es war ein zwei Finger breiter Kupferring, der in der Mitte die Form eines Sperlings annahm – das heilige Zeichen für alles was klein, schwach, schlecht oder böse ist. Auf dem Reif waren Zeichen eingraviert, und auf dem des Nubiers stand: ABYDOS, TEMPEL DES OSIRIS.
    Als Turi ihr eines Abends half, die Binden wieder um ihren Brustkorb zu legen, wagte sie ihn danach zu fragen.
    »Sag mal, Turi, was hat eigentlich dein Armreif für eine Bedeutung?«
    Der Nubier verharrte in seiner Bewegung, und das Lächeln erfror in seinem Gesicht.
    »Willst du mich ärgern?«, fragte er beleidigt.
    »Nein!« Satra schüttelte ihren Kopf. »Bei Senbi trug niemand einen solchen Reif«, erklärte sie ihre Unwissenheit. »Ich sehe das hier zum ersten Mal.«
    Turi hatte den Kopf schräg gelegt und musterte sie. »Wie lange bist du schon in Kemi?«
    »Über ein Jahr«, erwiderte sie.
    »Und dann willst du mir erzählen, dass du noch keinem Diener begegnet bist, der damit gekennzeichnet ist?« Turi lachte rau. »Auch in Theben, denn daher kommst du doch, gibt es solche.«
    Erneut schüttelte Satra den Kopf und zuckte gleich darauf mit den Schultern. »Ich komme zwar aus Theben, habe Theben aber niemals gesehen. Der Mann, dem ich dienen musste, hatte mich in seinem Haus wie eine Gefangene eingesperrt.«
    Überrascht sah Turi sie an, doch Satra hatte keine Lust, noch mehr über ihr Leben bei Senbi preiszugeben. Turi merkte, dass sie nicht gewillt war, etwas zu erzählen, und seufzte. Er setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und forderte sie auf, es ihm gleichzutun.
    »Also gut, Satra, dann will ich es dir erklären.«
    Er griff mit seiner rechten Hand nach dem Reif und streifte ihn von seinem linken Oberarm ab.

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