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Das Geschenk des Osiris

Das Geschenk des Osiris

Titel: Das Geschenk des Osiris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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Satra konnte sehen, dass er Narben hinterlassen hatte.
    »Das hier ist ein Armreif, den man Leibeigenen gibt, die von einem Gericht wegen eines sehr schweren Vergehens zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt wurden.« Turi bemerkte, dass Satra bei seinen Worten die Augen entsetzt aufgerissen hatte und hörbar schluckte. »Ich wurde dazu verurteilt, weswegen ist uninteressant. Ich muss diesen Reif tragen und darf ihn nur zur täglichen Körperpflege abnehmen. Werde ich ohne ihn erwischt, bekomme ich zuerst eine Tracht Prügel, bevor sich jemand die Mühe macht, mich zu fragen, warum ich ihn nicht trage.« Er streifte sich den Reif wieder über. »Wie du gesehen hast, hinterlässt er Narben, und bei hellhäutigen Menschen wie dir ist die Haut unter ihm ungebräunt. So kann jeder sofort erkennen, ob er einem entlaufenen, zu Zwangsarbeit verurteilten Leibeigenen gegenübersteht oder nicht. Denn ein Kriegsgefangener ist zwar auch zu Zwangsarbeit verurteilt, aber nur für eine gewisse Zeit. Danach ist er wieder frei. Genauso verhält es sich mit Leuten, die sich freiwillig in die Leibeigenschaft begeben haben, um Schutz, Nahrung und ein Dach über dem Kopf durch ihren Herrn zu erhalten. Keiner von ihnen wurde wegen eines Verbrechens dazu verurteilt, und somit braucht keiner von ihnen einen solchen Armreif zu tragen. Sollte ein Kriegsgefangener fliehen, und man wird seiner habhaft, so droht ihm zwar eine gehörige Tracht Prügel, aber ich, ich würde es mit dem Leben bezahlen. Ist das jetzt klar?«
    Erneut schluckte Satra geräuschvoll. »Woher weißt du so genau darüber Bescheid?«
    »Ich trage ihn seit meinem dreizehnten Lebensjahr. Da habe meine Erfahrungen gemacht.«
    »Bist du seit damals im Tempel?«
    Turi bejahte. »Man kann es schlimmer treffen. Der Richter hätte mich auch in die Bergwerke oder Kupferminen schicken können oder ich wäre auf den Feldern des Gottes gelandet. Hier im Lebenshaus geht es mir gut. Paheri bringt mir sogar noch etwas bei. Ich bin zwar ein Leibeigener, aber ich bin auch der Gehilfe des Obersten Arztes. Also gehorche ich und führe ein angenehmes Leben.« Eindringlich sah er Satra in ihre grünen Augen. »Das würde ich dir ebenfalls raten, denn dann wirst auch du es gut haben, vor allem ...«, er beugte sich zu ihr hin und sprach flüsternd weiter, »... seitdem der alte Oberpriester gestorben ist und wir einen neuen haben.«
    Satra hätte Turi gerne gefragt, ob dieser Ipuwer der neue Oberpriester sei, biss sich aber auf die Zunge, stand auf und wickelte sich weiter die Binden um ihren Körper.
    Drei Tage später erschien Dedi nach dem Frühstück in ihrer Kammer und gab ihr zu verstehen, dass sie ihm folgen solle.
    Er führte sie durch die Laubengänge des Lebenshauses zu einer großen zweiflügligen Tür, vor der zwei stämmige Soldaten Wache hielten, damit niemand, der im Haus des Lebens nichts zu suchen hatte, dort eindringen und Unheil stiften konnte. Sie überquerten den Vorplatz, und der Syrer strebte auf die kleine Pforte zu, die sich gegenüber dem Lebenshaus in der hohen Mauer befand. Als sie die Pforte passiert hatten und hinaus in den rötlichen Schein des anbrechenden Tages traten, befanden sie sich zu Satras Überraschung auf einem großen gepflasterten Vorplatz, der an den Längsseiten von hohen Mauern und Säulengängen und an den beiden Stirnseiten von zwei mächtigen Pylonen begrenzt wurde.
    Gebannt hielt Satra den Atem an und staunte.
    Das musste der Vorhof des Tempels sein, den zu bestimmten Festen auch das einfache Volk betreten durfte. Unwillkürlich blieb sie stehen und betrachtete die schönen Reliefs, die in leuchtenden Farben von den Mauern und Säulen erstrahlten. Mitten auf dem Hof stand eine mindestens sechzehn Ellen hohe Statue des Gottes Osiris in seinen Mumienbinden. Auf dem Kopf trug er die Atef-Krone und in den Händen die Zeichen seiner Königswürde, Krummstab und Geißel.
    Bewundernd schaute sie zu ihm auf.
    Dedi, der ihr Zögern bemerkt hatte, ging zu ihr zurück, packte sie grob am Arm und zog sie mit sich zur gegenüberliegenden Seite des Hofs. Dort traten sie erneut durch eine Pforte, die sie wieder aus dem heiligen Bereich des Tempels führte.
    Auf dieser Seite der Mauer befanden sich die Werkstätten und Unterkünfte der Tempelgemeinschaft. Satra sah Priester und Bedienstete eifrig ihrer Tagesaufgabe nachgehen und erfreute sich an der parkähnlichen Anlage, zu der Dedi sie führte. Die Wege waren fein säuberlich angelegt, und inmitten dieser

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