Das Geschenk des Osiris
kleinen grünen Oase standen fünf Häuser, zwei davon mit einer hohen Mauer umgeben.
Rechter Hand der Behausungen war man im Begriff, vier weitere zu errichten. Dunkel- und hellhäutige Arbeiter waren dabei, das Mauerwerk aus Schlammziegeln hochzuziehen. Satra wollte schon wieder stehen bleiben und den Männern bei ihrer Arbeit zusehen, aber Dedis drohender Blick ließ sie gehorsam weitergehen.
Er brachte sie zu dem größten der fünf Wohnhäuser und gab ihr zu verstehen, im Eingangshof auf ihn zu warten. Dann verschwand er im Innern des Gebäudes und kam kurze Zeit später mit einem mittelgroßen Mann wieder heraus, der Satra zu sich heranwinkte.
Satra trat auf die beiden zu und verneigte sich ehrfürchtig vor dem unbekannten Mann, der eindeutig Kemiter war. Er war beinahe einen halben Kopf kleiner als sie und musste gezwungenermaßen zu ihr aufsehen, als er das Wort an sie richtete.
»Mein Name ist Hekaib. Ich bin der Haushofmeister des Oberpriesters. Folge mir!«
Gehorsam betrat Satra drei Schritte hinter ihm das kühle Innere des Hauses. Er führte sie in die vordere, die Empfangshalle, wo er stehen blieb und sich zu ihr umwandte.
»Was kannst du?«
Satra überlegte kurz, was sie ihm antworten sollte. Würde sie ihm die Wahrheit erzählen, was sie alles beherrschte, würde er sicherlich einen Herzanfall bekommen und sie im Gegenzug Stockhiebe, weil man ihr wieder einmal nicht glauben würde. Also druckste sie herum.
»Ich ... ich ...«
»Was ist los, Frau? Bist du nicht in der Lage, eine einfache Frage zu beantworten?« Der Blick des Haushofmeisters wurde mürrisch. »Ich will wissen, was du bei deinem früheren Herrn getan hast!«
Satra starrte zu Boden. Deshalb bemerkte sie auch nicht, dass Hekaib einen anderen Mann mit einer Kopfbewegung grüßte, der hinter ihr in die Halle getreten war.
»Ich war so etwas wie eine Leibdienerin für meinen ehemaligen Gebieter«, sagte sie stockend. »Ich habe seine Räume geputzt, mich um seine saubere Wäsche gekümmert, ihm beim Ankleiden und Schminken geholfen und ihn bedient.«
Überrascht zog der Hausverweser die Augenbrauen in die Höhe. »Du hast ihm beim Ankleiden geholfen? Wie ungewöhnlich.« Er sah zu dem Mann, der im Eingang hinter Satra stand und keine Gefühlsregung zeigte. »Und was für Arbeiten hast du sonst noch verrichtet?«
Satra stand nur da, hatte den Blick gesenkt und sagte kein Wort.
Der Mann hinter ihr trat aus dem Türrahmen und kam auf sie zu. Als Satra ihn endlich bemerkte, sah sie überrascht hoch, und ihre Augen weiteten sich verständnislos. Sie stand dem hochgewachsenen Priester gegenüber.
Aber das konnte doch nicht möglich sein. War denn nicht der Ältere, dieser Ipuwer, der Oberpriester?
Satra war sichtlich verwirrt.
»Verneige dich vor deinem neuen Herrn!«, fuhr Hekaib sie an.
Augenblicklich senkte Satra wieder den Blick und entschied sich dafür, vor ihrem neuen Gebieter ergeben auf die Knie zu sinken. Bei Senbi war das stets angebracht gewesen, und diesen Herrn kannte sie noch nicht.
»Du stehst ab jetzt in den Diensten von Amunhotep, dem Vorsteher der Priesterschaft des Großen Gottes Osiris«, proklamierte der Haushofmeister salbungsvoll, während Amunhotep sie eingehend musterte.
»Wenn diese Frau früher als Leibdienerin gearbeitet hat«, sagte er an Hekaib gerichtet, »so soll sie es auch weiterhin tun. Erkläre ihr alles, und gebe ihr etwas zum Anziehen und ihren Armreif.«
Damit wandte er sich um und wollte gehen, doch Satra nahm all ihren Mut zusammen und wagte kleinlaut das Wort an ihn zu richten.
»Herr, mein Name ist Satra.«
Ruckartig blieb Amunhotep stehen und drehte sich zu ihr um. »Es ist mir völlig egal, wie du heißt. Ich habe dich nicht danach gefragt.« Er funkelte sie erbost an und verließ zügigen Schrittes den Raum.
»Stehe auf!«, befahl Hekaib, und flink kam Satra auf die Füße. »Ich werde dir jetzt zeigen, wo du schläfst, wo das Badehaus ist und wo du dich im Haus aufhalten darfst. Und ich werde dir erklären, was deine Aufgaben sind.«
O Gott, nein, dachte Satra verzweifelt, bitte nicht schon wieder in einem Haus eingesperrt sein!
Ohne ein Widerwort folgte sie Hekaib.
SIEBZEHN
Völlig erschöpft ließ sich der Vorsteher der Osiris-Priesterschaft in einen bequemen, mit Kissen gepolsterten Armlehnenstuhl fallen und streckte die Füße aus. Die Hitze war heute unerträglich gewesen, und auch der sonst so angenehm kühle Wind aus dem Norden war zu
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