Das Geschenk: Roman
Cartoonstimmen-Karriere vorantrieb. Außerdem lebten sie nicht das ganze Jahr zusammen – ein für Tom entscheidender Vorteil, blieb es ihm und Lelia auf diese Weise erspart, die ungezählten Schwierigkeiten zu meistern, mit denen Paare sich herumschlagen mussten, die einen gemeinsamen Haushalt führten.
Er war einmal für kurze Zeit verheiratet gewesen, hatte aber keine Kinder. Heute würde seine Ex-Frau nicht einmal ein R-Gespräch von ihm entgegennehmen, wenn er auf der Straße läge und verblutete. Tom war einundvierzig und hatte vor zwei Monaten seine Mutter durch einen Schlaganfall verloren; sein Vater war bereits mehrere Jahre vorher gestorben. Als Einzelkind war er nun ganz allein – und das hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Die Hälfte seines Erdendaseins war verstrichen, und was hatte er vorzuweisen? Eine gescheiterte Ehe, keine Nachkommen, eine eher lockere Beziehung mit einer kalifornischen Synchronstimmen-Königin, eine LKW-Ladung Zeitungsartikel und ein paar Journalistenpreise. Ganz gleich, wie man es betrachtete, alles in allem war es eine armselige Rechtfertigung für seine Existenz.
Tom hatte einmal die Gelegenheit gehabt, mit einer anderen Frau ein anderes und schöneres Leben zu führen, doch die Beziehung war unerklärlicherweise in die Brüche gegangen. Inzwischen war ihm mit schmerzlicher Gewissheit klar, dass es der größte Fehler seines Lebens gewesen war, Eleanor Carter nicht geheiratet zu haben. Trotzdem fuhr Tom – grundsätzlich ein aktiver Mensch und erneut von Fernweh getrieben – mit der Eisenbahn zu Weihnachten nach LA und seiner Geliebten Lelia.
Warum mit dem Zug, könnte man fragen, wo es doch jede Menge günstige Flüge gab, mit denen er sein Ziel in einem Bruchteil der Zeit erreicht hätte. Nun, ein normaler Mensch kann nur eine begrenzte Anzahl der auf Flughäfen vorgeschriebenen Sicherheitschecks mit widerwärtigen Detektorstäben ertragen, die ihm in geheiligte Körperregionen geschoben werden, oder mit der Aufforderung, vor Fremden die Hose herunterzulassen, oder mit dem Durchwühlen des Handgepäcks. Irgendwann platzt jedem der Kragen, so wie Tom auf dem Flughafen La Guardia, wo er in die Luft gegangen war wie der Vesuv beim Untergang Pompejis.
Tom war gerade aus Italien eingeflogen, wo er für eines seiner derzeit bevorzugten, eher oberflächlichen Themen recherchiert hatte. Diesmal war es um die Weinherstellung gegangen, und um die Mühen eines Schnellkurses über Bodenqualität und Traubenfäule leichter ertragen zu können, hatte Tom mehr vom Gegenstand seiner journalistischen Untersuchungen konsumiert, als ihm gut getan hatte. Deshalb war er müde, verkatert und missgelaunt gewesen. Er hatte nur drei Stunden im Apartment eines Freundes in New York geschlafen, ehe er zum Flughafen gefahren war, um eine Maschine nach Texas zu nehmen, wo er einen Artikel über Teenager-Schönheitswettbewerbe auf dem Lande schreiben sollte. Tom hatte den Job angenommen, weil einen gestandenen Reporter wie ihn so schnell nichts mehr schrecken konnte.
Jedenfalls war in der Sicherheitsschleuse am Flughafen La Guardia der Suchstab gegen diverse empfindliche Teile von Toms Anatomie geklatscht, die zu berühren für besagten Suchstab tabu war, sei es nun in freundlicher Absicht oder aus anderen Gründen. Währenddessen war es einem anderen Sicherheitsmenschen gelungen, jeden – aber auch wirklich jeden – Gegenstand aus Toms Koffer aufs Transportband zu kippen. Hilflos hatte Tom mit ansehen müssen, wie seine persönlichsten Utensilien vor den neugierigen Blicken plötzlich überaus interessierter, wildfremder Menschen vorüberglitten.
Wie um diesem unerquicklichen Vorfall zu einem grandiosen Finale zu verhelfen, wurde Tom davon in Kenntnis gesetzt, dass aufgrund seiner Identität, seiner Haarfarbe, der Wahl seiner Kleidung oder der Form seiner Nase ein Großalarm ausgelöst worden sei. (Was genau zu beanstanden war, hatte man ihm nicht erklären können.) Statt nach Dallas zu fliegen, müsse er sich daher der Gesellschaft einer ganzen Kompanie Angehöriger diverser Organisationen wie des FBI und der CIA, der Drogenfahndung und der New Yorker Polizei erfreuen, und zwar für eine nicht näher genannte Zeitspanne. Als unbestimmter Hinweis stand die Angabe »fünf bis zehn Stunden« im Raum. Dies – in Verbindung mit der unfreundlichen Manipulation intimer Körperstellen – überschritt für Tom deutlich die Grenze zum Erträglichen. Und so kam es zum unvermeidlichen Ausbruch, und die
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