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Das Geschenk: Roman

Das Geschenk: Roman

Titel: Das Geschenk: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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musste Tom unwillkürlich grinsen, während die kleinen Waggons auf ihren winzigen Gleisen vorüberratterten.
    Der Cap würde in Kürze zum Einsteigen freigegeben werden; daher begab Tom sich in die Abreisehalle. Wenngleich in manchen Bahnhöfen eine gründliche Gepäckkontrolle vorgenommen wurde, konnte man hier noch in praktisch letzter Minute erscheinen und in den Waggon steigen. Es gab keine Sicherheitskontrollen, keine aufdringlichen Detektorstäbe und keine Fragen von der Sorte, ob man einem Fremden gestattet habe, einem eine handliche Atombombe ins Handgepäck zu legen, während man auf der Herrentoilette war – als würde man eine solche Information freiwillig preisgeben! Anders als am Flughafen stieg man hier einfach ein und fuhr mit. In der modernen Welt der unzähligen Regeln und Vorschriften war diese Verfahrensweise überaus erfrischend.
    Tom suchte sich einen Sitzplatz in der Wartehalle des Cap und machte sich daran, seine Mitpassagiere zu studieren. Als er mit dem Acela nach New York gefahren war, waren fast alle Fahrgäste Geschäftsleute gewesen, elegant gekleidet und ausgestattet mit sämtlichen modernen Waffen, die Wirtschaftskonzerne ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellten: Handys, Palm Pilots, Laptops, Earsets, Laserpointern, plutoniumbetriebenen Technospielereien und Kombinationen aus separater Festplatte und Mini-PC in Brillenform. Es waren Leute mit einer Mission, begierig, endlich loszufahren, und als die Türen sich öffneten, um die Massen einsteigen zu lassen, stürmten sie wie besessen den Zug. Tom wurden beinahe die Kleider vom Leib gerissen, weil er nicht schnell genug war. Eine kleine, aber zu allem entschlossene Top-Managerin attackierte ihn, als wäre er die böse Konkurrenz, wobei sie das offenbar einzige Ziel verfolgte, Tom die Eingeweide herauszureißen.
    Die Gruppe, die auf den Cap wartete, war um einiges bunter. Da waren weiße Amerikaner, schwarze Amerikaner, eingeborene Amerikaner, Muslime in traditioneller Kleidung, Amerikaner asiatischer Herkunft – eine hübsche Kollektion ethnischer Zugehörigkeit und Herkunft, ziemlich gleichmäßig aufgeteilt in Männlein und Weiblein.
    Ein hübsches junges Paar, das neben Tom saß, trank Cola light, hielt Händchen und wirkte äußerst nervös. Vielleicht war dies ihre erste größere Reise. Tom war in jungen Jahren so oft unterwegs gewesen, dass er ihre Unsicherheit und Unruhe sehr gut nachvollziehen konnte. Zu seiner anderen Seite saß ein älterer Geistlicher, der die Füße auf seine Reisetasche gelegt hatte und ein Nickerchen machte.
    Dem Priester gegenüber hatte sich eine schlanke Frau mit ausgesprochen kantigen äußeren Formen niedergelassen, eher ein geometrisches Gebilde aus Haut und Knochen. Ihr Alter konnte Tom nur erahnen, da sie einen langen bunten Schal einem Turban gleich um den Kopf geschlungen hatte. Sie trug Holzschuhe, so groß wie Fünfzehn-Kilo-Hanteln. Auf dem Sitz neben ihr waren Tarotkarten ausgebreitet, die sie eingehend studierte. Sobald jemand an ihr vorbeiging, schaute sie mit einem Blick auf, der zu sagen schien: »Ich weiß alles über dich.« Es konnte einem ein bisschen auf die Nerven gehen. Tom hatte sich mal von einem alten Mann auf den Virgin Islands die Hand lesen lassen. Der Alte hatte Tom ein langes Leben mit einem Stall voller Kinder, einer liebenden Ehefrau und allen denkbaren Annehmlichkeiten prophezeit. Tom hatte oft daran gedacht, den Scharlatan noch einmal ausfindig zu machen und sein Geld zurückzuverlangen.
    Er beobachtete eine ältere Dame, die sich mittels einer Gehhilfe vorwärts bewegte. Sie erinnerte ihn an seine Mutter. Nach ihrem Schlaganfall hatte sie nicht mehr sprechen können; deshalb hatte Tom ein eigenes System der Verständigung entwickelt. Er hatte ein Foto auf ihre Brust gelegt, das sie als junge Frau und ihn als Kind zeigte, und sie hatte es mit ihrer gesunden Hand ergriffen. Das bedeutete, dass alles in Ordnung war und dass sie noch immer am Leben um sie her teilnahm. Nie würde Tom vergessen, wie er ihr das Foto gegeben und acht Stunden lang darauf gewartet hatte, dass sie danach griff. Sie tat es nicht. Am Tag darauf war sie gestorben.
    Ein paar Minuten später nahmen Tom und die anderen Passagiere ihr Gepäck und begaben sich auf den Bahnsteig. Der Capitol Limited rief nach ihnen.

KAPITEL 3
    Draußen war es bitterkalt, und die dicken Wolken verhießen Schnee oder zumindest Schneeregen. Bei einem solchen Wetter mussten Flugpassagiere meist mit Startverzögerungen

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