Das geschenkte Gesicht
und grinste. Er schob Schwabe eine Packung Camel in die Rocktasche und klopfte ihm auf den Rücken. »In Amerika – ich habe a sweet girl.«
Die Stube B/14 stand bereit wie zum Rapport, als Erich Schwabe wieder im Lazarett erschien. Professor Rusch, Dr. Mainetti und die anderen Ärzte operierten wieder. Es war ein ›Großkampftag‹, wie es bei Baumann hieß.
Narben wurden ausgetrennt, Stiellappen verpflanzt, neue Rolllappen angelegt, aus dem Rippenbogen Knorpel für eine Ohrmuschel transplantiert und zwei Unterkiefer gerichtet und mit einem Reichenbachschen Heftpflasterverband ruhiggestellt und sorgfältig geschient.
Ohne Formalitäten setzten die MP-Männer Erich Schwabe vor der Hauptwache ab, fuhren zurück nach Bernegg. Am Fenster der Stube 14 stand Walter Hertz, und als er Schwabe durch das Tor kommen sah in den Vorgarten, winkte er mit beiden Armen und rief in das Zimmer hinein: »Er kommt!«
»Sieht zehn Jahre jünger aus!« sagte der Berliner, als Schwabe in der Stube stand und seinen Rock auszog. »Wat det ausmacht, Kinder!«
»Und träumen wird a!« rief der Wastl. »A Gaudi wird's, wenn wir ihn im Schlaf ausfragen!«
»Laß die blöden Hunde quatschen!« sagte Fritz Adam. »Und behalt's für dich. Das kann dir niemand nehmen.«
Walter Hertz nahm Schwabe zur Seite. Die Augen in seinem schiefen Gesicht waren voller Erwartung.
»Hast du was gehört von Petra, Kumpel?«
»Petra, Nee.«
»Petra Wolfach. Kann ja sein, daß irgendwo der Name gefallen ist. Hast du nichts gehört?«
»Nein.« Erich Schwabe schüttelte den Kopf. »Ich hätte fragen können, ich weiß, Walter. Aber ich habe nicht daran gedacht. Ich habe nur meine Frau gesehen. Es war so kurz. Du mußt das verstehen, Junge. Ich habe an nichts anderes gedacht.«
»Schon gut, Erich.« Walter Hertz nickte ein paarmal. »Wenn sie noch in Bernegg wäre – bestimmt hätte sie etwas von sich hören lassen. Ganz bestimmt.«
»Das glaube ich auch.«
Gegen Mittag kam Dr. Mainetti zur Visite. Sie gab Schwabe die Hand, aber sie fragte nichts. Sie sah seine glänzenden Augen und nickte ihm zu. »Übermorgen machen wir einen wunderschönen Rollappen für die neue Nase«, sagte sie. »Hier von der Brust, entlang des Sternums nehmen wir ihn.« Sie tippte Schwabe auf die Brust. »Da Sie keine Frau sind, macht so eine Narbe auf der Brust ja nichts aus …«
»Das kann man nie sagen«, antwortete Schwabe fröhlich. »Da legt Uschi oft ihren Kopf drauf.«
Lisa Mainetti lachte. »Ihnen geht es gut, was?« sagte sie, und die Freude machte auch sie glücklich. Er hat es geschafft, dachte sie. Er hat das innere Grauen überwunden. »Dann muß sich Ihre Uschi eben auf die linke Brustseite legen. Platz genug ist immer noch da.«
»Jawoll, Frau Doktor!« rief er.
Es war ihm, als sei die ganze Welt auf Hochglanz poliert.
Wieder brauchte Ursula fast drei Tage, bis sie an einem späten Nachmittag in Köln vor der amerikanischen Pontonbrücke stand und langsam über die schwankenden Stege ging. Niemand sah sie an. Sie war schmutzig, verrußt, verstaubt, die verklebten Haare lagen um ihren Kopf, als seien sie ein nasses Fell.
Sie ging durch die zerstörte Stadt, durch diesen Riesenwald von Trümmern und Ruinen, durch einen neuen Mond mit Kratern und bizarren Felsen, in denen die Menschen wie Maulwürfe wühlten, Steine schichteten, Schutt wegschaufelten und aus angekohlten Balken neue Zimmergerüste bauten.
Wie es sich gleicht, dachte Ursula. Ein zerstörtes Gesicht und eine zerstörte Stadt. Und an beiden wird neu gebaut.
In den Trümmern des Hauses Horst-Wessel-Straße 4 – das Straßenschild war jetzt abmontiert und jemand hatte mit Farbe auf ein Stück Blech ›Rathenaustraße‹ geschrieben – saß der Maurer Karlheinz Petsch und klopfte Ziegelsteine sauber. Einen großen Berg hatte er schon neben sich liegen, schön geschichtet. Sie reichten bereits für zwei Mauern eines neuen Zimmers.
»Guten Tag, Mädchen!« rief Petsch und winkte mit dem Hammer und einem Flachmeißel. »Geh 'runter zu Muttern! Ich habe euch zwei Pfund Pferdefleisch mitgebracht – für 'n zünftigen Sauerbraten!«
Ursula senkte den Kopf und antwortete nicht. Dann rannte sie wie gehetzt die Kellertreppe hinunter, und schon auf den ersten Stufen roch sie deutlich den im Brattopf schmorenden leckeren Braten.
Mitte September – das Leben hatte sich etwas normalisiert, die Stadtsteuerämter arbeiteten wieder, und die Verwaltung war notdürftig aufgebaut und konnte sich um
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