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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war es nötig, eine Knochentransplantation aus der Hüfte vorzunehmen und diesen Knochenspan als neuen Unterkiefer einzusetzen.
    Christian Oster lag bereits narkotisiert und operationsbereit auf dem Tisch, als Lisa Mainetti in den OP kam und sich wusch. Dr. Vohrer machte ihm noch eine SEE-Injektion, eine große Erleichterung für die Äthernarkose, bei der dann weniger Äther gebraucht wird. Oster war rasiert, jodiert und atmete ruhig durch den Schlauch. Dr. Stenton kontrollierte den Puls, den Bauchdeckenreflex, es war alles normal. Er war ein wenig aufgeregt, man sah es an seinen unruhigen Augen, denn es war die erste große Gesichtsoperation, die er als Assistent Nr. 1 machte, der Platz, auf dem sonst Lisa stand, wenn Professor Rusch operierte.
    Dr. Mainetti trat an den Tisch heran. Die Oberschwester klapperte mit den Instrumenten. Sie kannte die Griffe im voraus, sie war oft die einzige gewesen, die mit Ruschs Schnelligkeit mitkam und sich nicht irritieren ließ. Sie sprach wenig, und ihr schmales Gesicht unter der weißen Haube der Ursulinerinnen war immer ernst und fast maskenhaft.
    »Alles o.k., Doc?« fragte Dr. Mainetti. Dr. Stenton nickte.
    »O.k., Madam.«
    Lisa machte den ersten Schnitt, von einem Kieferwinkel zum anderen. Stenton klemmte die Gefäße ab und setzte Catgutligaturen. Famulus Baumann kontrollierte und regulierte unter Aufsicht Dr. Vohrers die Narkose. Schnell, an die einzelnen Handgriffe Ruschs denkend und sie wie einen Film vor dem inneren Auge abspielend, schuf Lisa ein Wundbett für die Aufnahme des Knochenspans aus der Hüfte. Die noch stehenden Stümpfe des Unterkiefers wurden präpariert, damit sie genau im Wundbett lagen. Mit einer Fräse glättete Lisa alle Unebenheiten. Mit größter Vorsicht und Sorgfalt führte sie den elektrischen Bohrer, der die Fräse trug, es war eine ungeheure Feinarbeit, denn bei der kleinsten falschen Haltung des Bohrers konnte die Fräse abgleiten, ins Wundbett geraten und dort nach der Mundhöhle zu ein Loch reißen.
    Das würde bedeuten, daß alle Arbeit umsonst gewesen war, denn die Sterilität könnte nicht gewahrt werden. Die Schleimhaut der Mundhöhle ist voller Bakterien und nicht steril zu halten.
    Lisas Fräse glättete die Kieferstümpfe und schliff die im Laufe der Monate neu gebildeten Knochenbälkchen an. Es war nötig, an das Mark heranzukommen, um die Kallusbildung zu aktivieren, die zum Zusammenwachsen der beiden Knochenteile – des Kieferrestes und des Transplantates – dringend notwendig ist. Ein Einheilen ist sonst unmöglich.
    Dr. Vohrer hatte während dieser Millimeterarbeit am Kiefer schon den Hüftschnitt gelegt. Er war 18 Zentimeter lang, der Hüftknochen lag frei, und Dr. Stenton maß mit einem Zirkel die Ausdehnung ab, die der Span haben sollte.
    Lisa Mainetti winkte. Der Knochenmeißel wurde gereicht.
    »Lassen Sie mich das machen«, sagte Dr. Vohrer. »Das ist Männersache, Lisa.«
    Dr. Mainetti schüttelte den Kopf. Sie beugte sich tiefer, die Hitze des OP-Scheinwerfers verbrannte ihr den Nacken, und dann hämmerte sie den Span ab. Es war vollkommen still im OP, nur das Klopfen schwirrte durch den heißen Raum. Da-dam da-dam da-dam. Fünfzig, sechzigmal, das gleiche eintönige Geräusch, in einem fast einschläfernden Rhythmus.
    Dann war der Span abgelöst, wurde vorsichtig herausgehoben und von Lisa zweimal angebrochen, um die Kinnwinkel zu formen. Stenton hielt den Span in seinen leicht bebenden Fingern. Noch einmal untersuchte Lisa das Wundbett, ob nichts vergessen war. Dann nickte sie und Stenton gab ihr den gebrochenen Span. Auf den Millimeter genau paßte er, als Lisa ihn zwischen die beiden Kieferstümpfe einsetzte.
    Stenton atmete auf. »Wonderful!« sagte er leise.
    Lisa sah ihn nicht an. Jetzt kam jene Phase der Operation, die Rusch sich erarbeitet hatte. Das Verlöten. Oft kommt es vor, daß die Enden des eingepflanzten Spans und die Kieferastreste nur eine schwache Kallusbildung hatten und nicht zusammenwuchsen: die gefürchtete Pseudoarthrose, also die Bildung einer Art beweglichen Gelenks an einer falschen Stelle. Umfangreiche Nachoperationen wurden dann notwendig, und manchmal war es unmöglich, überhaupt noch Transplantationen vorzunehmen.
    »Löffel!« sagte Lisa laut. Die Operationsschwester hatte ihn bereits in der Hand und reichte ihn an.
    Lisa begann, wie es Rusch immer getan hatte, das Knochenmark der Hüfte auszulöffeln und zwischen die beiden Enden von Span und Kiefer zu ›schmieren‹. Wie das feine

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