Das geschenkte Gesicht
übrigen läuft die Untersuchung auf Hochtouren. Dr. Urban hat man weggebracht aus Darmstadt, in eine Heilanstalt. Er wurde tobsüchtig, weil er kein Morphium mehr bekam.«
»Und man glaubt ihm noch immer?«
»Kaum, Miß Doktor. Aber die politischen Untersuchungen werden nicht von Soldaten, sondern von Beamten gemacht. Und wo Beamte arbeiten, gibt es Akten. Und wo Akten vollgeschrieben werden, steht die Zeit still. Die Beamten in der ganzen Welt sind da wie eineiige Zwillinge.«
Braddock lachte, aber Lisa stimmte in seine Fröhlichkeit nicht ein. Sie legte den Hörer auf und starrte aus dem Fenster in den fast kahl gewordenen Schloßpark. Die Bäume hatten die Blätter abgeworfen, der erste kalte Wind schüttelte die letzten bunten Flecken von den Ästen, und auf dem Teich schwammen traurig und eng zusammen die beiden Schwäne in der Nähe des Ufers, als wollten sie aus dem kalten Wasser herausgeholt werden. Daß sie noch lebten, verdankten sie Fritz Adam. Der Wastl Feininger hatte etwa um Mitte Juli herum den Gedanken gehabt, die Schwäne zu einem Gebüsch zu locken und als Kalorienaufbesserung zu verwerten. Nur die Behauptung Adams, daß Schwäne bis zu 100 Jahre alt würden und die beiden vielleicht schon fünfzig Jahre alt wären, was bedeutete, daß der Wastl auch eine Schuhsohle kauen könnte, hielt ihn davon ab, seinen Mordgedanken auszuführen.
Vielleicht ist Rusch Weihnachten wieder hier, dachte Lisa Mainetti. Dann könnten wir heiraten, und wenn man uns hier nicht mehr braucht, könnten wir eine Praxis aufmachen. Eine Praxis? Wovon?
Sie ging zu Baumann und unterrichtete ihn, daß Bloch entlassen würde. Dann betrat sie das Zimmer 14 und nickte Kaspar Bloch zu, der gerade einen herrlichen Grand ausspielte.
»Es ist soweit. Packen Sie alle Sachen. Sie werden abgeholt.«
»Abgeholt?« fragte statt Bloch der Berliner. »Wieso denn, Frau Doktor?«
»Kaspar ist der erste, der wegkommt. Entlassung.«
»Was? Entlassung?« rief Bloch und sprang auf. In seiner Erregung warf er den Tisch dabei um. Auch die anderen sprangen auf und stolperten über die Tischbeine in der Mitte des Zimmers.
»Ja, Ihr Vater wartet unten in Bernegg.«
»Es geht nach Haus! Nach Haus, Jungs!« schrie Kaspar Bloch. Er stürzte zu seinem Spind, riß die Tür auf und warf alles auf das Bett und den Boden.
»Professor muß man sein«, sagte der Berliner. »Die Söhne der Witwen kommen zuletzt, wat?«
»Und … und wir, Frau Doktor?« fragte der Wastl gedehnt. »Mei Hof braucht mi. Die Wintersaat muaß i – Sakramentnoamoi!« Er wandte sich um und ging ans Fenster. Nur an seinem breiten Rücken und dem dicken Stiernacken sah man, daß er weinte. Der Wastl weinte. Man wußte gar nicht, daß er es konnte, man hatte es für unmöglich gehalten.
Lisa Mainetti biß sich auf die Unterlippe. Ihr taten die anderen Männer leid. Sie wollten ein neues Gesicht, aber stärker als alles, was sie außerhalb der schützenden Mauern von Schloß Bernegg erwarten mochte, war ihr Drang zu den Müttern und zu den Frauen, jene Kraft eines wiedergewonnenen Lebens, die ihnen die ersten Begegnungen und das Bewußtsein der erhaltenen Liebe gaben.
»Auch ihr kommt dran«, sagte Lisa Mainetti. »Aber erst legt ihr euch noch auf den Tisch. Schwabe machen wir neue Lippen und einen schönen Stirnlappen. Hertz, Ihnen richten wir das Auge. Feininger, bei Ihnen müssen wir die linke Wange polstern. Bei Ihnen, Zwerch, müssen wir die dicken Wulstnarben wegtrennen, und Sie, Adam, bekommen mindestens noch fünf Hauttransplantationen. Und erst dann gebe ich euch frei.«
»Prost Mahlzeit«, sagte der Berliner. »Jehn wir also wieda Skat kloppen!«
Adam und Schwabe halfen Kaspar Bloch beim Packen. Es war nicht viel, was er mitnahm. Das meiste verschenkte er an seine Kameraden. »Was brauch' ich die Klamotten noch?« sagte er. »Rock und Hose, das ist alles. Und wenn ich zu Hause bin, fliegt die Uniform in den Ofen. Ich glaube, ich habe noch nie so selig ein Feuer betrachtet wie das, was dann kommen wird.«
Baumann erschien im Zimmer 14. »Fertig?« rief er. »Die Amis sind schon da.«
Noch einmal drückte Kaspar Bloch die Hände seiner Stubengenossen. Es wurde ihm plötzlich schwer zu gehen, trotz der seligen Freude, die ihn durchrann.
»Auf Wiedersehen!« sagte er zu jedem. »Jungs, das ist kein leeres Wort. Wir sehen uns wieder. Wir bleiben immer in Verbindung, ja? Wir wollen uns nie mehr aus den Augen verlieren, ganz gleich, wo jeder von uns stecken wird. Und
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