Das geschenkte Gesicht
Vergipsen einer Mauerlücke war das. Als Lisa sich zurückbeugte, waren die Knochenenden nicht mehr sichtbar. Es war eine glatte Fläche geworden.
Dr. Stenton nickte stumm. Auch wenn er wenig davon verstand, leuchtete ihm die an sich primitive Methode ein. Dr. Mainetti hatte ihm erzählt, daß es seit drei Jahren, solange sie mit Professor Rusch zusammenarbeitete, nach der Transplantation mit dieser Methode keine Pseudoarthrosen mehr gegeben habe.
Dr. Vohrer und Lisa stellten den neuen Unterkiefer ruhig, er wurde sozusagen verschnürt, die Wunde wurde mit Silberdraht verschlossen und der Kopf ›steif‹ verbunden, so daß er kaum drehbar war: Eine Gipsmanschette wurde angelegt. Unterdessen vernähte Stenton die Hüftwunde, legte einen Schlauch ein und klammerte die Epidermis. Dann entfernte Famulus Baumann den Tubus und injizierte Weckmittel. Noch während der Gefreite Christian Oster mit seinem neuen Kiefer, der ihm das vollständige Aussehen eines Menschen wiedergab, aus der Narkose erwachte, wurde er in sein Zimmer weggerollt, und Baumann blieb bei ihm, bis er wieder völlig zu sich kam und bei Bewußtsein war.
»Na also«, sagte er zu Oster, der stocksteif im Bett lag, unbeweglich durch seine Gipsmanschette. »Das hätten wir. Nur Boxer darfste später nicht werden.«
Christian Oster blinzelte mit den Augen. Sprechen konnte er ja nicht. Er machte die Bewegung des Schreibens, und Baumann hielt ihm einen Block hin und gab ihm einen Bleistift.
»Boxer nicht«, schrieb Oster. »Aber dich trete ich bei Gelegenheit noch mal in den Hintern. Ist das Kinn wirklich in Ordnung? Junge, was wird sich meine Frau freuen.«
Baumann nickte, nachdem er die Zeilen gelesen hatte.
»Bestimmt«, sagte er. »War 'ne Arbeit, schon vorher, mit dem Brustlappen. Stell dir vor, wir hätten dir die Brustwarze mit verpflanzt. Junge, das wär 'n Wonnepickel geworden.«
Die anderen im Zimmer brüllten begeistert. Der Bann, der jedesmal über die anderen fiel, wenn ein Frischoperierter aus dem OP zurückkam, war gebrochen.
Die nächsten sind wir, dachten sie. Und wie werden wir einmal aussehen?
Nach dem Mittagessen kamen Kaspar Bloch und Walter Hertz ins Schloß zurück. Sie hatten jeder eine große Schachtel Keks bei sich und eine Büchse Schinken mit Ei.
Der Berliner sah die beiden verwundert an, als sie glückstrahlend ins Zimmer marschierten und ihre Schätze auf den Tisch legten.
»Ich meld' mir ooch zur Arbeit!« rief der Berliner sofort.
»Was gibt es Neues, Jungs?« fragte Schwabe. »Seit einer Woche keine Post mehr. Habt ihr was gesehen von Post?«
»Mein Vater ist gekommen«, sagte Bloch und wischte sich über die Augen.
»Und Petra ist auch da«, rief Walter Hertz.
»Du jrüne Neune! Und die hat dir so in de Oojen jekuckt? Ohne Verband?« Der Berliner sah Hertz entsetzt an. »Det arme Mädchen.«
Erich Schwabe legte Bloch und Hertz die Arme um die Schultern. Er wußte, was es bedeutete, so unendlich glücklich von Bernegg zurückzukommen. »Ich freue mich mit euch, Jungs«, sagte er. »Sieht das Leben nicht gleich anders aus?«
Kaspar Bloch zog seine Uniformjacke aus und warf sie auf sein Bett. Das leuchtend weiße POW kam nach oben zu liegen. Bloch zeigte auf das Zeichen.
»Das ist auch bald vorbei!« sagte er.
»Was hoaßt dös?« brüllte der Wastl.
»Mein Vater hat lange mit Major Braddock gesprochen. Es ist so etwas im Gange, daß wir noch vor Weihnachten entlassen werden. Vor allem die schwersten Fälle.«
»Det is vielleicht 'ne Scheiße!« sagte der Berliner. »Je vernünftiger de Fresse, um so länger in Gefangenschaft! Ick werd' mir weigern, det se weiter an mir operieren!«
Fritz Adam tippte an die Stirn. »Nun überlegt doch mal, Kinder. Gut, ihr werdet entlassen, es geht nach Hause. Und dann? Wollt ihr denn immer und ewig so wie jetzt herumlaufen? Lieber ein Jahr länger hier und ein halbwegs vernünftiges Gesicht, als …«
»Det kann ooch nur der sajen!« schrie der Berliner. »Der hat sein Mäuschen im Stall. Die Dora bleibt, wo er ist. Aba uns kneifen se janz schön in den Hintern. Det Jesicht ham se mir wegjeschossen – alles andere ist normal!«
»Wenn man euch hierbehält, gibt's alles umsonst: Verpflegung, ein Bett, die Operationen und Medikamente. Seid ihr entlassen, müßt ihr alles selbst bezahlen. Und das kostet ein Vermögen!«
»Det is' 'ne schiefe Rechnung.« Der Berliner hob die rechte Hand hoch und zählte an den Fingern ab. »Ick mache dir 'ne andere Mühle. Wat du Verpflegung
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