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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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streute die Schnipsel in den Kohlenkasten neben dem eisernen Ofen. Es war ihm, als käme diese Nachricht aus einer Welt, die ferner als die Sterne war.
    Dann kroch er zurück ins Bett, zog Ursula an sich und spürte wohlig ihren warmen, glatten Körper nah und vertrauensvoll an seiner ausgekühlten Haut.
    Zu Haus, dachte er wieder. Mein Gott, ist das schön.
    Für den Gefreiten Christian Oster, den Zauberer von Schloß Bernegg, war die Heimkehr ein entscheidendes Experiment.
    Seine kleine, pausbäckige, braungelockte Frau Susanne hatte nie die Gelegenheit gehabt, ihn auf Bernegg zu besuchen. Nach seiner Einlieferung hatte er sich wie fast alle Gesichtsverletzten geweigert, überhaupt jemanden zu sehen. Dann hatte er seine Mutter kommen lassen und seine ganze seelische Qual herausgeschrien. Aber Susanne Oster, die zweimal unangemeldet in Bernegg erschien, wurde von Dr. Lisa Mainetti abgefangen, bevor sie noch in den eigentlichen Lazarettbereich kommen konnte. Wie zu allen Frauen hatte Lisa auch ihr gesagt: »Geduld ist das größte Geschenk, das Sie Ihrem Mann machen können. Jeder Tag warten ist mehr als alles Gold.«
    Das war alles, was die kleine, rundliche Susanne Oster von ihrem Mann erfuhr. Zwar gingen im Laufe der Monate viele Briefe hin und her, und immer hieß es: »Mir geht es gut. Es wird alles an mir getan, was möglich ist. Von Woche zu Woche wird es besser mit mir.« Ja, sogar ein Foto schickte Christian Oster an seine Frau, ein Foto schräg von hinten, so daß man nur die linke Gesichtspartie ein wenig erkennen konnte, und dieses Foto trug Susanne Oster immer mit sich und zeigte es jedem: Seht, so schlimm ist es ja gar nicht. Man sieht ja überhaupt nichts. Was sie nicht wußte, war die grausame Verstümmelung von Nase, Mund und rechter Gesichtsseite, ein aufgerissenes, von einem glühenden Granatsplitter völlig zerfetztes Antlitz, bei dessen Einlieferung sogar Dr. Lisa Mainetti leise zu Professor Rusch gesagt hatte: »Mein Gott – wo sollen wir hier noch anfangen?«
    Fünfundvierzig größere Operationen hatten Christian Oster nun wieder zu einem Menschen werden lassen. Lisa und Professor Rusch hatten an diesem Gesicht nicht nur Deckungen und Funktionsherstellungen durchgeführt, sondern sie hatten es regelrecht wie ein Bildhauer modelliert. Mit unendlicher Geduld wurde das Lippenrot millimeterweise rund um die Lippen verpflanzt, eine sogenannte Abbé-Plastik, die aus Fleischwülsten wieder Lippen werden ließ. Lippen, die einmal wieder eine Frau küssen sollten, ohne würgenden Ekel zu erzeugen.
    Was an Christian Osters Gesicht geleistet wurde, war das Musterbeispiel eines ›neuen‹ Gesichtes. Nach den fünfundvierzig größeren Operationen – die vielen kleinen Eingriffe wurden gar nicht mehr gezählt – sah sich Oster in einem Spiegel verblüfft und nachdenklich an. Dann nahm er ein Paßbild aus der Brieftasche und verglich es mit dem Antlitz, das ihm aus dem Spiegel entgegenschaute. Er erkannte sich nicht mehr. Der alte Christian Oster war von dem glühenden Granatsplitter weggewischt worden. Nur die Haarfarbe war geblieben und der Ausdruck der blauen Augen. Das Gesicht aber war ein fremdes Gesicht. Christian Oster lächelte gequält.
    »Es ist, als müßte ich jetzt Sie zu mir sagen«, sagte er leise.
    Dr. Mainetti legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Denken Sie, das ist mein Friedensgesicht. Das alte hat der Krieg genommen. Es war der unvermeidbare Kaufpreis für das Weiterleben.«
    »Ich könnte mich schon daran gewöhnen – aber meine Frau?« Christian Oster drehte sich vom Spiegel weg. »Sie hat doch – wenn man es genau bedenkt – einen anderen Mann geheiratet als den, der jetzt zurückkommt, nicht wahr?«
    »Man heiratet nicht nur ein Gesicht, Oster.«
    »Aber eine große Rolle spielt's doch, Frau Doktor.« Er drehte sich wieder zum Spiegel. Sein Blick tastete über die neue Wange, die neue Nase, den neuen Mund. Alles war fremd, wie eine Maske, hinter der man das wirkliche Gesicht, das alte vertraute, erwartete. »Was wird sie bloß sagen, meine Susanne? Ich bin doch ein völlig fremder Mann.«
    »Wir werden es ihr vorher schreiben, Oster.«
    Aber es waren Worte, weiter nichts, was Dr. Mainetti an Frau Oster schreiben konnte. Susanne Oster las sie und nickte. Natürlich wird Christian anders aussehen, dachte sie. Er wird Narben haben oder vielleicht ein schiefes Gesicht. Aber daran gewöhnt man sich, und man kann es auch im Lauf der Zeit immer wieder ändern und verbessern. Auch

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