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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wischte sich schnell über das Gesicht. Verdammt, dachte er, das ist eine Panne. So sollte es nun auch wieder nicht sein. Ganz langsam in die Situation hineinwachsen, so hab' ich mir das gedacht.
    »Ich bin Karlheinz Petsch«, sagte er und ging um Schwabe herum. »War mal Feldwebel bei der Luftwaffe. Und Ihre Frau hat mir das Leben gerettet.«
    »Ursula?«
    »Genaugenommen, Ihr Keller. Ich kam in einen Luftangriff 'rein und flüchtete hier 'runter. Und da hab' ich mir gedacht: Das vergißt du nie. Und wenn's man anders kommt, baust du das Haus wieder auf. Tja, und nun bin ich da dran.«
    Erich Schwabe nickte. Er führte seine Mutter zu einem Stuhl, zog den Mantel aus und band den Schal von seinem Kopf. Nun erst sah man die völlige Zerstörung des Gesichtes, den lippenlosen Mund, die notdürftig neugeformte Nase, die Narben der Hautplastiken, die durch die Kälte rotviolett angelaufen waren.
    »Einen Grog, Kumpel?« fragte Petsch mit etwas belegter Stimme und hielt ihm ein Glas hin. Schwabe schüttelte den Kopf und setzte sich neben Ursula auf das Bett. Er starrte sie stumm an. Dann hob er zögernd die Hand und strich ganz leicht und mit einer hilflosen, zitternden Zärtlichkeit über ihre blonden Haare und das bleiche, schmale Gesicht. Jetzt erst bemerkte er, wie sich ihr Leib rund und mächtig vorwölbte, und seine Hand glitt über ihren Körper und blieb auf ihrem schweren Leib liegen.
    Mein Kind, dachte Schwabe, und plötzlich wich alles von ihm, was ihn starr und stumm gemacht hatte. Die Einsamkeit, die er auf dem leeren Bahnsteig des Bahnhofes gespürt hatte, die wilde Verzweiflung, die ihn erfaßt hatte, als er den Kopf gegen die Kellertür lehnte, der eisige Schreck, als er den Mann so vertraut mit Mutter und Ursula fand. Alles, was ihn innerlich zerrissen hatte, verflüchtigte sich wie Morgennebel vor den ersten Sonnenstrahlen, als er die Hand auf Ursulas gesegneten Leib legte und unter seinen Fingern das Zucken und die ruckartigen Bewegungen des Kindes spürte.
    Mein Kind, dachte er wieder und schloß glücklich die Augen. Mein Gott, ich bin ja zu Haus, ich bin wirklich zu Haus. Es gibt keinen Krieg mehr, und wir werden von vorn anfangen, wirklich von vorn mit diesem Kind.
    »Man sollte ihr 'was zu trinken geben«, sagte Petsch und zeigte auf Ursula.
    Schwabe nickte. Er nahm aus Petschs Hand ein Glas mit Schnaps und flößte es Ursula langsam und vorsichtig ein. Sie schluckte krampfhaft, hustete wild und bäumte sich wie in Abwehr auf. Dann öffnete sie die Augen und starrte in Erichs schmutziges, verklebtes Gesicht, auf diesen formlosen Kopf, an dem nur die Augen das einzig Menschliche waren.
    »Erich«, sagte sie schwach und schlang die Arme um seinen Hals. »Wie freue ich mich.«
    »Tut dir was weh?« fragte er besorgt. »Hast du Schmerzen? Spürst du etwas durch den Fall?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte sie schwach. »Nun ist alles gut. Du bist da. Du bist endlich da.«
    Sie küßte ihn, indem sie seinen Kopf zu sich herabzog.
    Als sich Schwabe aufrichtete und sich nach Karlheinz Petsch umsah, war der nicht mehr im Keller. Er war gegangen, und keiner hatte ihn weggehen hören.
    Erich Schwabe fragte nicht nach ihm. Es würden noch viele Tage der Fragen kommen. Zwischen seiner Mutter und seiner Frau saß er auf dem Bett, hielt beider Hände fest und erzählte von den letzten Stunden in Schloß Bernegg.
    Bis gegen Morgen erzählte er. Und dann lag er neben Ursula im Bett, hatte den Arm um ihre Schulter gelegt, und ihr Kopf lag, müde, klein und leicht auf seiner Brust. Sie schlief mit einem kindlichen Lächeln und kuschelte sich im Schlaf zärtlich an ihn.
    Ich bin zu Haus, dachte Schwabe wieder. Und er war so glücklich, daß er weinen konnte. Im Bett nebenan schlief mit rasselndem Atem die Mutter. Sie hatte die Hände über der Brust gefaltet, als bete sie im Traum.
    Morgen beginnt ein neues Leben, dachte Schwabe, auch wenn sich nicht viel ändern wird. Er hörte auf die Atemzüge der beiden Frauen und konnte selbst nicht schlafen.
    Um sieben Uhr morgens hörte er jemanden die Kellertreppe herabkommen. Er schob Ursulas Kopf vorsichtig von sich, drehte sich aus dem Bett und ging auf Zehenspitzen zur Tür. Ein Hilfspostbote schwenkte ein dünnes Kuvert durch die eiskalte Morgenluft, als er das Gesicht im Türspalt sah.
    »Ein Telegramm«, sagte er. »Sind Sie Schwabe?«
    »Ja.«
    »Bitte.«
    Erich Schwabe schloß die Tür wieder. Er sah das Telegramm an, dann zerriß er es langsam und

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