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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ohrmuschel eng an die Bretter der Tür.
    Mutters Stimme, dachte er. Und da – Ursulas Lachen, ein helles, herrliches Lachen. Und noch eine Stimme, eine Männerstimme, tief und etwas polternd, in Alkohol gebadet. Was sagen sie? Warum sitzen sie hier, anstatt auf dem Bahnhof zu sein und ihn abzuholen? Natürlich, das Telegramm ist nicht gekommen! Er war schneller als die Nachricht. Da, wieder das Lachen Ursulas. Dann ein deutlicher Satz, unter Lachen ausgerufen: »Du bist eine Type, Karlheinz!«
    Wer ist Karlheinz? dachte Schwabe und atmete wieder. Ihm fiel der erste, kurze Eindruck ein, der ihn streifte, als er das zerstörte Haus sah. Ausgebrannt, mit zwei neuen Mauern. Wer hatte sie aufgebaut? Er legte die Hand auf die Klinke und wischte sich mit der anderen Hand über das kalte, schmutzige Leukoplastgesicht. Im Keller begann die tiefe Männerstimme zu singen. »Mädel, ich bin dir so gut …« Geschirr klapperte.
    »Noch einen Grog, Karlheinz?« Die Stimme der Mutter. Auch sie nannte den fremden Mann mit dem Vornamen.
    »Nur immer 'ran, Mütterchen.«
    Erich Schwabe legte den Kopf wieder gegen die Tür. Meine Heimkehr, dachte er kläglich. So kommt man nach Haus. Nach sechs Jahren Krieg, nach sieben Verwundungen, mit einem verlorenen Gesicht. Jahrelang hat man auf diesen Tag gewartet, hat für diese Stunde gelebt, hat an diesen Augenblick geglaubt, selbst als die Welt um einen herum unterging. Ich komme wieder, hatte man sich immer gesagt. Verdammt noch mal, einmal ist der Mist zu Ende, und dann steht man vor der Frau und der Mutter und breitet die Arme aus und ruft: »Hier bin ich wieder!« Was kann es Schöneres geben als diesen lang herbeigesehnten Augenblick?
    Und so ist es nun wirklich. Man steht frierend vor der Tür und hat Angst, sie aufzustoßen. Angst hat man vor dem, was hinter der Tür ist. Es war ein Fehler, einfach heimzukommen. Man hätte anrufen sollen oder sonst irgend etwas tun. Schon vor zwei Stunden, als man allein auf dem Bahnsteig stand und keiner gekommen war, den Heimkehrer abzuholen.
    Ob es dem Wastl auch so ergangen ist, dachte Schwabe plötzlich. Und dem Oster? Und was machte der Berliner? Was hatte Fritz Adam vorgefunden?
    »Mein Mädel, mein Mädel vom Rhein …«, sang drinnen die dröhnende Stimme. Erich Schwabe warf den Kopf in den Nacken und drückte die Klinke herunter. Dann gab er der Tür einen Stoß und ließ sie gegen die Kellerwand schlagen. Der Gesang verstummte, ein Stuhl fiel um, Ursulas Stimme klang auf. Sie rief: »Wer ist denn da?«
    An einer Porzellanschüssel stand Frau Hedwig Schwabe und spülte Gläser. Ihre Augen waren weit und starr. Sie erkannte nichts, weil sie geblendet aus dem hellen Licht in den dunklen Kellergang schaute.
    »Wer ist da?« rief Ursula wieder. Ihre Stimme zitterte vor verhaltener Angst.
    »Das hab'n wir gleich!« sagte die Männerstimme. Dann schob sich eine untersetzte, breite Gestalt in das Licht, ein kräftiger Bursche in einem weiten Maureranzug, ein Glas Grog dampfend in der Hand.
    Erich Schwabe trat langsam einen Schritt vor. Es war, als stürze er aus der Dunkelheit in das Licht. Er stand im Türrahmen, in seinem alten Militärmantel. Er hatte einen Schal um das Gesicht mit den schmutzigen, rußigen Leukoplaststreifen gewickelt, es sah aus wie der zertrümmerte Kopf einer Puppe, den man notdürftig wieder geflickt hatte.
    »Erich!« schrie Ursula gellend. Sie warf beide Arme nach vorn. Aber sie schaffte es nicht mehr, die drei Schritte bis zur Tür zu gehen. Sie fiel vornüber auf die Knie und rollte ohnmächtig auf den Kellerboden.
    »Mensch, Kumpel, Erich«, sagte Karlheinz Petsch laut. Er bückte sich, griff Ursula unter die Arme und hob sie auf das Bett. »Kommt da 'rein wie 'n Geist im Theater. Die Weiber kriegen ja 'n Herzschlag.«
    »Mein Junge«, stotterte Frau Schwabe. Dann fielen die Gläser hin, die Spülschüssel zerschellte auf dem Boden, und das Wasser spritzte an Erich Schwabe hoch und klatschte Karlheinz Petsch in die Schuhe. »Du bist da – du bist entlassen, Erich.«
    Sie rannte auf ihn zu, umarmte ihn, drückte den starren Körper an sich. Aber dann verließen auch sie die Kräfte, sie weinte plötzlich und hing schlaff in den zupackenden Händen ihres Sohnes.
    »Ihr – ihr habt mich nicht erwartet, was?« sagte Erich Schwabe über den Kopf seiner Mutter hinweg, zu Karlheinz Petsch gewandt.
    »Aber nein, wieso denn?«
    »Mein Telegramm –«
    »Hier ist keins angekommen.«
    Petsch schloß die Tür hinter Schwabe und

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