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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abgesprochen, kamen die Grüße und Weihnachtswünsche fast gleichzeitig auf Schloß Bernegg an. Der Wastl schickte sogar ein Päckchen mit zwei Würsten und einem tellergroßen Handkäse. Aber auch hier fehlte eine Nachricht von Walter Hertz. Lisa hatte alle Briefe und Karten sortiert und war sehr nachdenklich geworden. Sie glaubte nicht an alles in Vergessenheit tauchende Flitterwochen, sie empfand ein ungutes Gefühl, wenn sie an Walter Hertz dachte, an diesen großen Jungen mit der so zarten, zerbrechlichen Seele, den niederdrückenden Komplexen und der Angst vor der Zukunft, die vor ihm wie eine unerforschte Wüste lag.
    Am Heiligen Abend kam James Braddock hinauf nach Schloß Bernegg. Er hatte die Offiziersmesse verlassen und war mit dem Jeep allein losgebraust, in einer halsbrecherischen Fahrt den glatten Bergweg hinauf. Er platzte in die einfache Weihnachtsfeier des Lazaretts hinein. Die Patienten saßen um einen geschmückten Baum und packten die Geschenkpakete aus, der Pfarrer von Bernegg hatte eine Andacht gehalten, und nun bimmelte die kleine Glocke auf der Schloßkapelle hinaus in die Heilige Nacht, eine winzige, helle Stimme, die hinunter bis in die kleine Stadt flog. Ein anderer Glöckner zog nun an dem alten Seil, der Mann mit dem halben Gesicht war auch entlassen worden und lebte irgendwo in Hessen.
    »Merry Christmas!« rief Major Braddock, als er Lisa Mainetti ein kunstvoll verschnürtes Päckchen überreichte. Es war mit Stanniolbändern umwickelt und mit einer großen, dicken Schleife verziert.
    Sie saßen in einer Ecke des großen Gemeinschaftsraums, vier Verwundete schöpften aus großen amerikanischen Thermoskesseln ein Festessen aus – eine dickflüssige, rosa Rosinensuppe. Dazu gab es Kekse und eine Fruchtstange. Im Nebenraum wartete eine andere Überraschung, die man erst nach dem Auftragen des aus Preßtee hergestellten Tees verraten wollte: zehn Marzipantorten, die von der amerikanischen Unteroffiziersmesse aus Bernegg heraufgeschafft worden waren.
    »Ich habe auch ein Geschenk für Sie, Miß Doktor«, sagte Major Braddock etwas stockend.
    »Ich pack' es gleich aus.«
    Braddock hielt Lisas Hand fest, die das Päckchen aufschnüren wollte. »Nicht das Paket, das ist unwichtig. Ich habe eine Nachricht für Sie, die Sie erfreuen wird: Ich werde in Kürze versetzt werden.«
    Aus Dr. Mainettis Hand fiel das Päckchen auf den Tisch zurück. »Das – das nennen Sie eine Bescherung, Major?«
    »Ich dachte, es würde Sie freuen, mich nicht mehr zu sehen.«
    »Sie wissen genau, wie ich – wie sehr ich …« Dr. Mainetti schwieg. Braddock nickte wehmütig.
    »Unsere herrliche Haßliebe, Miß Doktor. Was wird nun aus ihr? Ich gehe zurück in die Staaten. Dort habe ich eine nette kleine Farm, auf der ich mein Leben beenden werde. Mammi wartet schon auf mich, und sie wird mir jeden Morgen eine Pfanne voll Spiegeleier mit Speck braten, dazu Toast und Tomatensaft, eisgekühlt, eine Kanne Nescafé und hinterher eine lange Virginia. Und dann werde ich tagsüber über die Weiden reiten oder in den Ställen herumlungern, allen im Wege sein, und abends kommen die Nachbarn, die Bums und Welles, die Smiths und Fairwells, und wir spielen Bridge bis zum Umfallen, und ich erzähle von den Tagen in Old Germany. Ist das nicht ein herrliches, beschauliches Leben? Es ist die Sehnsucht von Millionen, die es nicht kennen: ein Häuschen, ein Frauchen, ein paar Enkelchen und viel, viel Zeit. Und meinen Whisky muß ich heimlich in einer Stallecke trinken. Die Flasche verstecke ich immer in der Futtertruhe unter den geschnitzelten Rüben.«
    Dr. Mainetti lachte auf. »Das sollte man sich ansehen: Der starke Major Braddock schleicht sich heimlich in den Stall und trinkt zitternd seinen Whisky an der Schweinetruhe.«
    »So hat jeder vom Leben seinen Teil mitbekommen.« James Braddock legte die Hand auf Lisas Arm. Es waren kalte, harte Finger. »Ich muß Ihnen etwas sagen, Miß Doktor.«
    »So ernst, Major?«
    »Man sollte Sinnlosigkeiten immer ernst nehmen, dann geschähe weniger Unglück auf der Welt. Vor allem ist es gut, wenn man rechtzeitig erkennt, daß es Sinnlosigkeiten sind.«
    »Und Sie haben da etwas erkannt?«
    Es sollte spöttisch klingen, aber Braddock spürte in diesen Worten dennoch so etwas wie Mitgefühl. Er nickte mehrmals.
    »Eben weil es Sinnlosigkeiten sind, kann ich es Ihnen jetzt unbefangen sagen: Ich habe mich in Sie verliebt, Lisa.«
    »Ich weiß es, Major«, sagte Dr. Mainetti schlicht.
    »Sie

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