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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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haben es gewußt?«
    »Man sollte es nicht glauben – aber ich bin eine Frau! Unausgesprochene Wünsche spüren wir, als seien sie laut gesagt. Ich habe Sie immer bewundert, Major, wie tapfer Sie alles hinunterschluckten, was Ihnen schon in der Kehle steckte.«
    »Ich habe im stillen Professor Rusch immer schon gehaßt. Ihretwegen, Lisa.«
    »Aber Sie waren klug genug, zu erkennen, daß Sie gegen Rusch nicht ankommen konnten.«
    »Ich habe mich gezwungen, das zu ertragen. Zum letztenmal war es, als wir im Lager Darmstadt waren. Nicht Ihretwegen oder Ruschs wegen waren wir dort. Ich wollte mich von dem Wahn heilen, Sie jemals zu besitzen.« Braddock sah auf seine Hände. »Es war eine gute Therapie«, sagte er leise. »Ein radikaler chirurgischer Schnitt. Nun, da ich bald zurück in die Staaten fahre, kann ich Ihnen das alles sagen, ohne rot oder verlegen zu werden wie ein verliebter Schüler.«
    Sie schwiegen und dachten beide an die Wochen und Monate, die hinter ihnen lagen. Das Erleben eines ganzen Menschenalters war in diese Monate zusammengepreßt worden, sie würden sie nie vergessen können.
    »Haben Sie etwas Neues von Rusch erfahren?« fragte Dr. Mainetti in die Stille hinein. Braddocks Kopf zuckte hoch. Aus seinen Gedanken gerissen, starrte er Lisa verwirrt an.
    »Von Rusch? Nein, nein – nichts!«
    »Er hat nicht zu Weihnachten geschrieben.«
    »Vielleicht kommt die Post zwischen Weihnachten und Neujahr.«
    Er hielt wieder Lisas Hand fest, als sie erneut zu dem Päckchen griff und die Stanniolbänder lösen wollte.
    »Bitte erst, wenn ich wieder fort bin«, sagte Braddock hart.
    »So geheimnisvoll?« Sie wog das Päckchen in der Hand. »Es ist leicht. Darf ich raten?«
    »Bitte.«
    »Seife, Nylonstrümpfe, Wäsche?«
    »Nein.«
    »Eine Dose Pralinen oder Kekse?«
    »Nein.«
    »Kaffee oder Tee?«
    »Nein.«
    »Ich gebe es auf.« Lisa legte das Päckchen auf den Tisch zurück. »Alles andere ist schwerer.«
    »Für mich ist der Inhalt schwer genug. Zu schwer.«
    »Für Sie?« Dr. Mainetti betrachtete das Päckchen mit vorgeneigtem Kopf. »Ich platze vor Spannung, Major!«
    Nach dem Essen und dem Tee mit den Marzipantorten fuhr Braddock wieder hinab nach Bernegg. Lisa Mainetti trug das geheimnisvolle Päckchen auf ihr Zimmer und wickelte sorgfältig das Papier ab. Vielleicht war es etwas Zerbrechliches; bei Major Braddock waren Überraschungen nie ausgeschlossen.
    Ein länglicher Pappkarton kam zum Vorschein. Als Lisa den Deckel abhob, sah sie nichts als einen dünnen Brief auf einem Bett aus eng zusammengedrückten Tannenzweigen liegen. Verwundert hob sie das Kuvert an das Licht der Tischlampe und las zuerst die Anschrift: »James Braddock, Major.«
    Lisa zögerte, ehe sie mit dem kleinen Finger in den engen Schlitz der Kuvertklappe fuhr und den Umschlag langsam aufriß. Sie sah, daß das Kuvert schon einmal geöffnet worden war und daß man es nachher kunstvoll mit Klebstoff wieder verschlossen hatte.
    Ein einziger Bogen Papier lag in dem Umschlag. Ein Privatbrief, den sie daran erkannte, daß kein gedruckter Briefkopf vorhanden war. »Dear Sir«, begann die Anrede. Tatsächlich ein Brief an Braddock.
    Dr. Mainetti rückte die Lampe näher und begann, das Schreiben zu übersetzen. Es lautete:
    »Auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen mit, daß in Zusammenhang zwischen den militärischen und zivilen Ermittlungsbehörden, dem CIC und der deutschen Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Prof. Walter Rusch, z.Z. im Lager Darmstadt, abgeschlossen worden sind.
    Die Verdachtsmomente haben sich als unbegründet erwiesen. Prof. Rusch wird an einem noch zu bestimmenden Tag nach dem 1. Januar aus Darmstadt entlassen werden.
    Wir hoffen, Ihnen hiermit …«
    Weiter las Lisa nicht. Der Brief flatterte aus ihren Händen. Mit dem Ellenbogen stieß sie die Lampe vom Tisch, sie zerschellte auf den Dielen, und völlige Dunkelheit hüllte Lisa Mainetti ein.
    »Braddock«, stammelte sie. »James Braddock – das werde ich dir nie, nie vergessen.«
    Sie rannte zum Telefon und rief die Kommandantur in Bernegg an. Ein Sergeant war am Apparat. »No, Major Braddock ist fort. No, nicht weiß, wohin. Fort mit Jeep«, sagte er.
    Lisa Mainetti ließ den Hörer zurückfallen. Dann saß sie in der Dunkelheit am Fenster und sah hinaus in den verschneiten Schloßpark. Unten, im Gemeinschaftssaal, sangen die Verwundeten Weihnachtslieder. Von den Hügeln um Bernegg wehte der Wind einen Nebel von Pulverschnee ins Tal und über die weiten

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