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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wälder.
    »An einem Tag nach dem 1. Januar«, sagte Lisa leise und legte die heiße Stirn an die eisige Fensterscheibe. »Ich werde dasein, Walter.«
    Am Neujahrsmorgen fuhr sie nach Darmstadt. Braddock hatte ihr 14 Tage Urlaub gegeben und einen amerikanischen Arzt aus dem Hauptlazarett in Würzburg als Vertreter während ihrer Abwesenheit geschickt.
    Am Nachmittag stand sie vor dem Lagerausgang, im tiefen Schnee seitlich der von Bulldozern freigeschaufelten Straße, und wartete. In der Kommandantur, wo sie den Brief von Braddock vorzeigte, zuckte man die Schultern.
    »Kommt vom CIC, Miß«, sagte ein junger Leutnant, an den sie verwiesen wurde.
    »Und wann wird er entlassen?«
    »Ganz unbestimmt. Morgen, übermorgen, jeden Tag werden welche entlassen.«
    »Und wann werden sie entlassen?«
    »Meistens morgens.«
    »Dann werde ich warten.«
    Der Leutnant zog die Schultern hoch und grüßte lässig, als Dr. Mainetti das Zimmer verließ.
    Vier Tage lang stand Lisa jeden Morgen vor dem Lagerausgang. Die ausrückenden Arbeitskolonnen grüßten sie schon wie eine alte Bekannte, und die Posten riefen: »Hello! How do you do?« Sie stand an der Straßenseite im Schnee, in hohen Stiefeln und mit hochgeschlagenem Mantelkragen, und sie lief den dunklen Kolonnen entgegen, die als Freigelassene die doppelten Wachketten passierten und dann auf der Straße standen, in der Freiheit, etwas unsicher und fast verwundert, daß kein GI mehr rief »Go on!« und kein Plakatanschlag mehr verkündete: ›Es ist bei Strafe verboten, Regenwürmer zu essen.‹
    Am fünften Tag schritt Professor Rusch durch die Posten, zeigte seinen Entlassungsschein und machte einen großen Schritt aus dem Bereich des Stacheldrahtes hinaus auf die schlammige, von dicken Rädern zermahlene Straße.
    Mit einem lauten Aufschrei rannte ihm Lisa Mainetti mit weit ausgebreiteten Armen entgegen.
    Christian Oster hatte sich zu Hause wieder eingelebt. Alles war so wie früher, sogar der Brandfleck an der Tapete hinter dem Bett war noch da. Dort hatte er einmal fast ein Feuer entfacht; mit einer Zigarette in der Hand war er eingeschlafen, und die Tapete hatte zu schwelen begonnen.
    Auch Susanne Oster gab sich Mühe, in dem fremden Gesicht Christian zu erkennen. Zitternd war sie nach der Ankunft und nach dem zusammengesparten Abendessen zu Bett gegangen. Wie vor einem Fremden hatte sie sich nebenan ausgezogen und war schnell unter die Steppdecke geschlüpft, bevor Christian Oster von seinem Rundgang durch das Haus zurück ins Schlafzimmer kam. Diesen Rundgang hatte er immer gemacht, um zu kontrollieren, ob auch alle Türen geschlossen waren – die Haustür, die Terrassentür, die Kellertür, die Waschküchentür, die Tür von der Küche zum Gemüsegarten und die Tür zur Garage. Erst am Abend merkt man, wieviel Türen ein Haus hat.
    Susannes Angst war umsonst. Ihr Mann mit dem fremden Gesicht duschte sich und legte sich dann hin. Er tastete mit der Hand nach ihr, drückte ihren Oberarm, streichelte über ihr Haar und sagte leise, stockend: »Gute Nacht, Susi.«
    Dann machte er das Licht aus und tat so, als ob er einschliefe.
    In Wahrheit lagen sie beide wach und lauschten auf den Atem des anderen. Sie rührten sich nicht, und jeder wartete, daß der andere sich regte, daß er ein Wort sagte, nur einen Seufzer, der eine Brücke zwischen ihren Seelen sein konnte. Aber sie schwiegen und starrten gegen die Wände und schliefen endlich so ein, in der Hoffnung, daß ein neuer Tag vielleicht alles noch klären würde.
    Am nächsten Tag kamen die Nachbarn und die Freunde. Sie brachten zur Begrüßung Geschenke mit, die meisten etwas Eßbares, das man für andere Dinge eingetauscht hatte. Und in allen Augen sah Christian Oster ein Erschrecken, eine völlige Ungläubigkeit, eine Ratlosigkeit, die sich erst legte, wenn er sprach und man erkannte, daß es wirklich Christian Oster war.
    »Alle Achtung vor der Kunst der Ärzte!« sagte Onkel Ferdinand und trank von dem Wein, den er mitgebracht hatte. »Wenn einem sein Gesicht nicht gefällt – schwupp –, bekommt man ein anderes. Wißt ihr übrigens, daß mit diesem Trick der Bormann entkommen sein soll? Ein anderes Gesicht – und weg ist er, ehe man es merkt.«
    Man unterhielt sich nicht weiter darüber. Onkel Ferdinand war immer ein ungehobelter Klotz gewesen. Er ging schnell, nachdem er den mitgebrachten Wein selbst ausgetrunken hatte.
    Kurz nach Neujahr fuhr Christian Oster mit seinem alten Fahrrad in die Stadt, um sich bei

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