Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
vor einigen Tagen eine Sonderzuteilung von frisch geräucherten Bücklingen – auf zwei Abschnitte der Eierkarte – gegeben. Der fleischige Teil der Fische war bald aufgegessen, aber Frau Schwabe tat es weh, die goldglänzenden Bücklingshäute wegzuwerfen. »Kinder, dieses ungenutzte Fett«, sagte sie sinnend. »Damit muß man doch etwas machen können.« Und sie versuchte es: Sie kochte die Bücklingshäute aus, seihte sie durch ein grobes Tuch und erhielt eine wunderbare, fettglänzende Brühe, die nach Rauch schmeckte, als sei sie aus geräuchertem Speck entstanden. Dahinein kochte sie Graupen, mit viel getrocknetem Porree, den sie im Sommer zwischen den Trümmern des Hauses angepflanzt hatte. Es schmeckte köstlich.
    »Unser Mütterchen ist ein Genie«, sagte Karlheinz Petsch ehrlich. »Aus nichts macht sie ein komplettes Essen. Wie oft merke ich jetzt, daß mir meine Mutter fehlt.«
    Es klang ein wenig sentimental, und niemand achtete darauf, daß Ursula in stummem Zorn die Lippen zusammenpreßte und die Fäuste ballte.
    Der Ausflug mit dem neuen Wagen endete mit einem kurzen Wortwechsel zwischen Uschi und Petsch. Erich Schwabe und seine Mutter waren schon in die Wohnung hinabgestiegen, Ursula blieb zurück, um das Gepäck mit Petsch aus dem Wagen zu holen. Sie faßte den Thermoskessel, aber von der anderen Seite hielt ihn Petsch fest.
    »Willst du bei ihm bleiben, wenn das Kind da ist?« fragte er leise. Ursula riß ihm den Kessel aus den Fingern.
    »Ja«, zischte sie.
    »Er wird nie ein anderes Gesicht haben. Du kannst doch nicht ewig …«
    »Ich liebe ihn.«
    »Aber nur, wenn du die Augen zumachst. Wenn du ihn dabei ansehen mußt …«
    »Wenn du mich nicht in Ruhe läßt, sage ich Erich alles!«
    »Darauf warte ich ja nur.«
    »Du erbärmlicher Lump du!« Ursula drückte den Kessel an ihre Brust. »Du wirst mich nie, nie wieder kriegen – und wenn du Millionär wirst. Mich kannst du nicht kaufen!«
    »Abwarten!« Karlheinz Petsch setzte sich hinter das Steuer. »Steter Tropfen höhlt den Stein. Oder abgewandelt: Steter Anblick tötet die Moral.«
    Ursula duckte sich unter seinen Worten wie unter einem heftigen Schlag. Dann hob sie beide Arme und schleuderte Petsch den Thermoskessel an den Kopf. Er duckte sich zu spät und die metallene Kante schlug gegen seine Stirn. Die Haut platzte, und Blut rann ihm über die Augen und in den stumm aufgerissenen Mund.
    »Ich bring' dich um«, keuchte Ursula. »Bei Gott, ich bring' dich um.«
    Mit heulendem Motor fuhr Petsch davon. Der matschige Schnee spritzte hinter den rasenden Hinterrädern hoch und übergoß Ursula mit Schmutz und schlammigem Wasser.
    Langsam wischte sie es ab, nahm den Kessel aus dem schmutzigen Schnee und stieg in den Keller.
    In zehn Tagen kommt das Kind, dachte sie, und es war wie ein stilles, ergreifendes Flehen. Wie schön wäre es, dieses Leben zu geben und selbst dabei zu sterben. Wie schön – und wie einfach wäre die Lösung aller Probleme.
    Sofort nach seiner Entlassung aus dem Nazilager Darmstadt wollte Professor Rusch zurück nach Bernegg.
    »Ich muß Braddock noch einmal sehen, bevor er zurück in die Staaten fährt«, sagte er. »Und die Verwundeten brauchen mich auch. Wir haben schon zuviel Zeit verloren.«
    Aber Lisa Mainetti schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Und ich sage dieses Nein als Frau. Du hast es nicht anders gewollt, Walter – nun zieh die Konsequenzen und füge dich! Nein, wir fahren nicht sofort nach Bernegg. Ich habe noch neun Tage Urlaub, und die verleben wir allein in aller Stille.«
    »Das fängt gut an!« Rusch drückte Lisas Arm fester an sich. »Noch nicht verheiratet, und schon wird kommandiert!«
    »Du kannst es dir immer noch überlegen.«
    »Lieber Himmel.« Rusch legte den Arm um Lisas Schulter. »Ich füge mich. Wohin willst du mich verschleppen?«
    »Dorthin, wo ich dich ganz allein habe und wo ich vor langen Jahren einmal – das letztemal – wirklich glücklich war, als junges Mädchen – in Heidelberg.«
    »Auch ich habe in Heidelberg studiert.«
    »Ich weiß es. Darum fahren wir.«
    In einem der wenigen von den Amerikanern nicht beschlagnahmten Hotels fanden sie ein kleines Zimmer. Der Besitzer erinnerte sich noch an den Dozenten Dr. Rusch, der jeden Donnerstag mit einem Stammtisch im Hinterzimmer gesessen hatte. »Das waren Zeiten«, seufzte er. »Damals hatten wir als Speisekarte ein Buch mit sechs Seiten … heute steht da: ›Maisgrießsuppe mit Einlage und Schmorbraten mit

Weitere Kostenlose Bücher